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Zuhause bleiben, auch wenn es gefährlich ist?

Begünstigt die Corona-Pandemie einen Anstieg von Gewalt in Beziehungen? Und wie bereiten sich entsprechende Kriseneinrichtungen vor? Ein Gespräch mit Anika Ziemba vom Vierten Autonomen Frauenhaus in Hamburg.

Bereits nach dem Shutdown im chinesischen Wuhan wurde berichtet, dass häusliche Enge und Isolation eine Zunahme von Beziehungsgewalt begünstigt haben. Bewahrheiten sich die Befürchtungen, dass sich eine solche Entwicklung hier wiederholt?

Das ist eine Erwartung, die sich noch nicht in unseren Zahlen niederschlägt. Wenn man sich mit den Mustern von Gewalt beschäftigt, dann ist eine solche Zunahme aber eigentlich nur logisch. Wenn jetzt Leute miteinander sehr viel mehr Zeit zuhause verbringen, gleichzeitig verunsichert sind, ihre Jobs verlieren oder befürchten, ihre Jobs zu verlieren, oder deutlich weniger Einkommen haben. Kurz, es gibt gerade sehr viele Unsicherheitsfaktoren, die das Eskalationspotential in gewaltträchtigen Beziehungen erhöhen. Daher rechnen wir mit einer Zunahme der Nachfrage nach unserem Unterstützungsangebot.

Gleichzeitig ist es so, dass derzeit die Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen, deutlich eingeschränkt sind. Die betroffenen Frauen haben weniger Zeitfenster, in denen sie eine Beratungsstelle kontaktieren können, sich einfach mal mit einer Freundin beratschlagen könnten, oder unverfänglich, ohne sich erklären zu müssen, mal vorübergehend die Wohnung verlassen können, weil sonst übliche Wege wie beispielsweise zur Kita oder zur Arbeit für viele jetzt wegfallen. Auf der einen Seite erhöht sich also das Eskalationspotential, auf der anderen verringern sich die Zeitfenster, in denen ich mir Hilfe holen kann. Gleichzeitig gibt es noch viel Unklarheit darüber, welche Einrichtungen überhaupt noch weiter arbeiten. So wundern wir uns also nicht darüber, dass die höhere Nachfrage noch nicht eingetreten ist, und es ist uns ein Anliegen, auf möglichst vielen Kanälen bekannt zu machen, dass wir weiter arbeiten und weiter aufnehmen. Soweit ich weiß, gilt das für alle Frauenhäuser in Deutschland, Ich weiß von keinem Haus, das beschlossen hätte, nicht weiter aufzunehmen, und ich kann mir das eigentlich auch nicht vorstellen.

Wie ist unter Normalbedingungen das Prozedere, wenn Frauen sich an Euch wenden wollen? Das läuft telefonisch?

Ja, wir haben in Hamburg allerdings als Ausnahme auch eine Notaufnahmestelle in Zusammenarbeit aller Frauenhäuser in der Stadt, also der autonomen Häuser und des diakonischen. Die Notaufnahmestelle heißt ganz einfach nach ihren Rund-um-die-Uhr-Öffnungszeiten „24/7“; es gibt eine Notrufnummer für die Erstabklärung, dann wird ggf. ein Treffpunkt vereinbart, und dann können die Frauen unter professioneller Begleitung überlegen, wie sie mit ihrer Situation weiter umgehen wollen – ist ein Frauenhaus eine Alternative, oder braucht es was anderes? Von dort werden sie dann weiter vermittelt.

Die Angebote schließen Kinder mit ein. Wird die Situation durch die Schließung von Kitas und Schulen verschärft?

Kinder werden in Gewaltbeziehungen häufig instrumentalisiert als Rechtfertigung für die Gewalt – das Kind verhält sich nicht, wie der Vater möchte, und dann gibt er die Mutter die Schuld daran und wird ihr gegenüber gewalttätig. Für die Kinder ist es natürlich auch anstrengend, ohne oder mit einer anderen Tagesstruktur zu leben, und das ist natürlich ein Stressfaktor. Auch und für die Kinder gilt natürlich, dass sie jetzt weniger Schutz erfahren. Für sie fällt ja auch durch das Fehlen von Schule und Kita weg, dass sie andere Erwachsene um Hilfe bitten können oder diese eben einfach mitkriegen, was passiert. Kinder sind auch beim Miterleben von Partnerschaftsgewalt Betroffene, da es im Erleben der Kinder ähnlich ist, ob sie selbst Ziel von Gewalthandlungen werden oder eben die Mutter. Darüber hinaus können sie natürlich auch noch – sozusagen aktiv – Ziel von Gewalthandlungen des Vaters oder auch der Mutter werden. Und zu diesen Zeiten erfahren sie da eben wenig Schutz.

Wie läuft denn Eure Arbeit jetzt? Wir unterhalten uns von Homeoffice zu Homeoffice, aber lässt sich auf diesem Weg auch Soziale Arbeit leisten?

Ich arbeite mit sieben Kolleginnen in einem 30-Plätze-Frauenhaus. Wir haben alle Teilzeitstellen. Eigentlich ist es so, dass wir dienstags bis donnerstags alle im Büro sind, wenn wir nicht gerade Außentermine haben. Die eine Hälfte arbeitet außerdem montags, die andere freitags.

Im Moment arbeiten wir in Tandems, das heißt, ich bin immer mit der gleichen Kollegin im Büro, und wir erledigen, was anfällt: helfen Frauen, die vor der Tür stehen, nehmen Anrufe entgegen usw. Die anderen Kolleginnen sind zu ihren üblichen Arbeitszeiten dann zuhause ansprechbar. Wir rufen sie an und bitten sie zum Beispiel, das Telefonat mit einer Frau zu übernehmen, die bei einem bestimmten Anliegen Unterstützung braucht.

Teilweise treffen sich die Kolleginnen im Home Office auch mit Bewohnerinnen. Wir haben den Vorteil, dass wir einen zusätzlichen Kinderbereich haben, der sich nicht im Haus befindet, sondern ein Stück die Straße runter. Wir haben also einen Ausweichraum, und da finden gerade auch Beratungen statt – der Raum ist groß, lässt sich gut lüften, da können wir gut Beratungen unter den aktuellen Sicherheitsbedingungen machen.

Trotzdem ist Soziale Arbeit aus dem Home Office eine sonderbare Erfahrung. Ein Telefonat ist eine ganz andere Situation als unsere gewohnte Beratung, und auch ein Gespräch im Kinderbereich mit zwei Metern Sicherheitsabstand ist ziemlich eigenartig. Soziale Arbeit lebt von Beziehungsarbeit, Gestik, Mimik, all das ist gerade ziemlich künstlich. Bei Frauen, bei denen wir eine Dolmetscherin brauchen, machen wir es im Moment so, dass wir die Übersetzerin anrufen und das Telefon in die Mitte des Tisches legen. So auf eine gute Ebene zu kommen, ist ziemlich schwierig.

Wie ist es in den Häusern selbst? Gibt es besondere Schutzmaßnahmen?

Wir haben überall Desinfektionsspender aufgehängt. Unser Haus hat drei Etagen, wo jeweils sechs bis 13 Leute miteinander wohnen und Bad, Toilette und Küche teilen. Es ist nicht gerade geräumig, eigentlich eher eng.

Es gibt sowieso Putzdienste, die unter den Bewohnerinnen rotieren. Das klappt gerade ausgesprochen gut. Zusätzlich haben wir einen Desinfektionsdienst eingeführt, in dem Türklinken, Treppengeländer, Griffe usw. desinfiziert werden. Die Frauen sind gehalten, sich nicht gemeinsam in Gruppenraum oder Küche aufzuhalten, sondern mit ihren Kindern, sofern sie welche haben, nur für Notwendiges in die Küche zu gehen und dann wieder auf ihr Zimmer. Das Gemeinschaftsleben, das im Frauenhaus sonst auch stattfindet, ist massiv zurückgefahren. Aber es ist aufgrund der Enge auch so sehr schwierig, anderthalb Meter Abstand zu halten.

Hattet Ihr schon mit Corona-Verdachtsfällen zu tun?

Wir hatten zumindest Frauen mit Erkältungssymptomen. Da ist deutlich zu merken, dass im Moment zwar alle sehr bemüht und rücksichtsvoll sind, aber wenn eine Frau hustet und niest oder von Halsschmerzen spricht, dann ist eine gewisse Spannung im Haus deutlich zu spüren. Bisher hat sich aber nichts als Corona-Infektion erwiesen. Es ist aber so, dass wir auch Corona-Verdachtsfälle aufnehmen können. Wir haben in Absprache mit der Stadt entsprechende Ausweichräume zur Verfügung gestellt bekommen, damit eine Frau nicht, weil sie ein Verdachtsfall ist, in einer Gewaltsituation verharren muss. Auch Frauen aus Risikogruppen können wir anders unterbringen, um das Infektionsrisiko zu vermindern.

Das klingt nach einer ganz guten Zusammenarbeit mit den Behörden…

Wir werden von der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration finanziert. Mit den Zuständigen dort haben wir aktuell wöchentliche Telefonkonferenzen und haben das zusammen erarbeitet. Wir haben grundsätzlich einen ganz guten Draht dorthin, und haben es inzwischen auch mit interessierten und engagierten Leuten zu tun.

Wir haben in Hamburg erfreulicherweise eine Pauschalfinanzierung, haben also einen festen Haushaltsposten in den Kommunalfinanzen. In anderen Bundesländern ist es so, dass die Häuser über die Frauen finanziert sind, die das Angebot in Anspruch nehmen, das heißt konkret: Nur Frauen mit Anspruch auf Transferleistungen können die Plätze in Anspruch nehmen. Das bedeutet zum Beispiel, dass Frauen mit dem falschen Aufenthaltstitel oder mit einer Behinderung oder Studentinnen dort nicht einfach ins Frauenhaus gehen können. Selbstverständlich fordern wir bundesweit die unbürokratische, einzelfallunabhängige Finanzierung aller Frauenhäuser.

Ganz problemfrei ist unsere Situation in Hamburg trotzdem nicht. Zum Beispiel ist es uns nicht gelungen, über die Behörde ausreichend Desinfektionsmittel zu bekommen, dafür musste eine Kollegin private Kontakte nutzen. Wir sind nicht mit Mundschutz usw. ausgestattet – klar, die Krankenhäuser sind das auch nicht, aber dahinter stecken politische Versäumnisse.

Wir sind gerade dabei, dank der zusätzlichen Räume die Platzkapazitäten in Hamburg zu erhöhen. Dennoch bleibt die Frage. Wie werden die Leute dann betreut? Wenn eine Frau in einer Ausweichräumlichkeit untergekommen ist, braucht sie ja trotzdem Begleitung und Beratung. Wie lösen wir das auf der Personalseite? Wir haben einen Betreuungsschlüssel von eins zu acht, was sowieso viel zu schlecht für eine Kriseneinrichtung ist. Auch in normalen Zeiten arbeiten wir ständig am Limit, und unser Angebot ist eigentlich auch durchgehend zu 95 oder 100 Prozent ausgelastet; empfohlen wird eine Auslastung von 70 Prozent.

Wir sind hier zwar im Gespräch, haben aber bisher weder eine Zu- noch eine Absage für weitere Stellen. Die Behörde möchte gern abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Auf den ersten Blick ist das verständlich, aber wenn der Punkt erreicht ist, dass wir am Limit angelangt sind, ist es eigentlich zu spät, zusätzliche qualifizierte Leute zu finden.

Eine Kollegin gehört auch einer Risikogruppe an und bleibt durchgehend zuhause, alle anderen sind zurzeit da. Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll, wenn manche von uns krank werden. Wir stehen da noch vergleichsweise gut da. In einem anderen Haus ist gerade eine Stelle vakant, eine Kollegin ist noch in der Einarbeitung, mehrere gehören Risikogruppen an, das Team geht also auf dem Zahnfleisch. Da wir in Hamburg als systemrelevant eingestuft sind, ist zumindest die Betreuung der Kinder von Kolleginnen kein Problem.

Jetzt zeigen sich die Lücken im System besonders deutlich. Der Betreuungsschlüssel ist schlecht, es gibt ohnehin in ganz Deutschland zu wenige Frauenhausplätze, und darüber hinaus sind es nicht nur Frauen, die von dieser Situation besonders betroffen sind. In Hamburg beobachte ich zum Beispiel, dass Wohnungslose und Geflüchtete große Probleme haben, weil sie weiter in engen Sammelunterkünften untergebracht sind. Das ist ebenso ein Herd für gewaltvolle Eskalation wie für ein Infektionsrisiko. Gleichzeitig stehen die Hotels leer. Uns ist die Solidarität mit all denen ein Anliegen, die nicht sagen können: Ich bleibe zuhause, da ist es sicher. Das gilt für viele Frauen, für Wohnungslose, für Geflüchtete, die sich das eben nicht aussuchen können. Wenn Du kein sicheres Zuhause hast, dann braucht es politische Maßnahmen, um Alternativen zu schaffen. Wir Frauenhäuser sind da gut in Kontakt, und es passiert einiges, aber für andere gilt das nicht.

Interview: Stefan Schoppengerd