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Eigenwillige Auslegung: Zweifel an Einigung über die Hygiene bei Primark in Weiterstadt

Wie ihr Name schon sagt, soll die Aufgabe einer Einigungsstelle im Sinne des Gesetzgebers darin bestehen, zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat eine Einigung zu versuchen, wenn beide diese in freien Verhandlungen nicht erreichen konnten. Der sogenannte „Spruch“, also das Erzielen eines Ergebnisses durch Abstimmungsmehrheit einer Seite wäre demnach eher eine Ausnahme. Denn dabei ist in aller Regel die Entscheidung der oder des Vorsitzenden der Einigungsstelle, häufig ein/e Arbeitsrichter*in, für die Position des Betriebsrates oder der Geschäftsführung ausschlaggebend.

In der Einigungsstelle am 9. Dezember 2020 zum Personaleinsatzplan für Januar 2021 bei der Primark Mode Ltd. & Co KG in Weiterstadt bedurfte es keines „Spruchs“, weil sich die Vertreter*innen von Geschäftsführung und Betriebsrat nach einigen Stunden über alles Wesentliche verständigt hatten. Allerdings gab es einen „Haken“: Die mit dem Betriebsrat vereinbarten Hygiene-Regelungen für das Geschäft waren nur bis zum 31. Dezember 2020 gültig; für die Zeit danach fehlte eine solche zwingend erforderliche Übereinkunft. Die Geschäftsführung forderte eine Neuregelung, die alle angeblich „überflüssigen“ Hygienestandards beseitigen sollte. Das lehnte der Betriebsrat ab, weil er mehr wollte: die bisher aufgetretenen Mängel bei deren Handhabung sollten beseitigt werden.

Nun war die „Kunst“ des Vorsitzenden der Einigungsstelle gefragt. Seine Bemühungen um einen Kompromiss waren erfolgreich. Beide Seiten einigten sich darauf: „Die im Dezember geltenden betrieblichen Regelungen zum Arbeitsschutz im Zusammenhang der CORONAVIRUS (SARS-CoV-2) – Pandemie finden auch ab 1. Januar 2021 Anwendung bis eine Neuregelung in Kraft tritt“. Darüber hinaus wurden seitens der Geschäftsführung zugesagt: die strenge Einhaltung der Reinigungsintervalle und -abläufe; die Bewachung des nur noch als Flucht- und Rettungsweg halb geöffneten zweiten Eingangs zum Geschäft durch Manager oder Security-Kräfte; halbstündliche Durchsagen an die Kund*innen zur Einhaltung der AHA-Regeln.

Alles gut? Alles gut, dachte der Betriebsrat. Doch bereits wenige Tage später forderte ihn die Geschäftsführung zu Verhandlungen über eine neue Hygiene-Vereinbarung auf. Die Unternehmerseite deutete die Einigung nur als vorübergehende „Nachwirkung“ der alten Hygiene-Richtlinien und nicht als deren erneutes Inkraftsetzen ab 1. Januar. Sähe es anders aus, so wäre der Betriebsrat erst nach Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zu neuen Verhandlungen verpflichtet. Hierzu urteilte das Arbeitsgericht Darmstadt am 29. Januar 2021. Die Geschäftsführung trug dabei vor, es sei in der Einigungsstelle am 9. Dezember keinesfalls ihre Absicht „gewesen, eine unbefristet gültige Betriebsvereinbarung“, sondern nur „eine Übergangsregelung zu schaffen, bis die Nachfolgeregelung verhandelt sei“. Der Betriebsrat erklärte hierzu als seine Sicht auf die Einigung, dass mit ihr „die Altregelung schlicht entfristet worden sei“, wie sich aus dem Text des Kompromisses ergebe.

Gerade das wollten die Richter nicht daraus entnehmen. Sie entschieden: „Die Auslegung der Vereinbarung vom 9. Dezember 2020 ergibt, dass sie keine Verlängerung der bisherigen Betriebsvereinbarung zum Gegenstand hat, sondern lediglich eine Nachwirkung der bis zum 31. Dezember 2020 gültigen Bestimmungen begründet“. Dafür spreche „der Wortlaut der Vereinbarung. So ist in der Vereinbarung lediglich von einer weiteren ‚Anwendung‘ der bisherigen Regelungen die Rede und nicht von einer Verlängerung der bisherigen Betriebsvereinbarung als solcher.“ Der Betriebsrat will nun das Hessische Landesarbeitsgericht anrufen, um dessen Meinung zur Auslegung zu erfahren. Jedenfalls lautet eine Moral von der Geschicht‘: Augen und Ohren auf bei Verhandlungen mit Unternehmern, und verschwiegene Absichten können problematisch werden.

aus: ver.di Bezirk Südhessen Fachbereich 12: Kuckuck. Informationen für Betriebsräte und Beschäftigte Nr. 149, 22. Februar 2021.