von Robert Schlosser
In den 1980er Jahren habe ich als Maschinenschlosser 6 Jahre lang in einem mittelständischen Unternehmen Vaccuumverpackungsmaschinen gebaut. Eine Mund-Nase-Schutzmaske war mein ständiger Begleiter … immer wieder beim Schleifen von Schweißnähten der Edelstahlwannen, und 8 Stunden am Stück, wenn die Deckel der Doppelkammermaschinen aus Aluminiumguss bearbeitet werden mussten. Nur die „Intelligenzbestien“ unter meinen Kollegen trugen bei solchen Arbeiten nicht die Maske. Das taten sie aber nicht, weil ihnen die Demokratie und ihre persönliche Entscheidungsfreiheit am Herzen lag, sondern weil sie einfach meinten, der ganze Dreck könne ihnen sowieso nichts anhaben oder es sei einfach scheiß egal.
Neulich mussten im Keller der Mietskaserne, in der ich wohne, alte verstopfte Abflussrohre entfernt und durch neue ersetzt werden. Ein Malocher war damit beschäftigt, die Rohre mit einem „Trennjäger“ aufzuschneiden …. ohne Schutzbrille und ohne Schutzmaske! Als meine Freundin ihn darauf ansprach und aufforderte die „persönliche Schutzausrüstung“ anzulegen, schaute er verlegen und verunsichert. Sein Vorarbeiter sprang ihm schnell bei: es sei seine persönliche Entscheidung, ob er Brille und Maske tragen wolle oder nicht!
Mund-Nase-Schutzmasken werden getragen bei Arbeiten in der Industrie, dem Handwerk sowie im Gesundheitswesen (von ÄrztInnen, Schwestern und Pflegern bei OPs, der Intensivpflege usw.) Es handelt sich dabei um eine durchaus lästige aber notwendige Schutzmaßnahme für die, die die Maske tragen und/oder speziell für die Menschen, mit denen die MaskenträgerInnen Kontakt haben.
Bei vielen Arbeiten unterliegt es nicht der persönlichen Entscheidungsfreiheit ob eine solche Maske getragen werden muss! Solche Masken gehören zu den sogenannten „persönlichen Schutzausrüstungen“ deren Tragepflicht in Deutschland etwa durch die DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) geregelt ist. Die Vorschriften die von der DGUV erlassen werden, haben die gleiche Verbindlichkeit wie Gesetze. Die Tragepflicht solcher persönlichen Schutzausrüstungen ist keine Erfindung der KapitalistInnen und ihrer Interessenverbände.
Wenn man für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz unter kapitalistischen Bedingungen eintritt und dafür kämpfen will, sind solche quasi-gesetzlichen Regelungen das Maximum dessen, was man gegenüber den KapitalbesitzerInnen innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise durchsetzen kann. Man kann das natürlich auch unter Berufung auf Staatskritik ablehnen, weil man halt grundsätzlich jede Staatsintervention interpretiert als eine eine Maßnahme „des ideellen Gesamtkapitals“ im Interesse des Kapitals.
In der Corona-Pandemie ist das Tragen einer Mund-Nase-Schutzmaske zu einem großen Aufreger geworden. Nach einigem konfusen hin und her darüber, was eine solche Maske tatsächlich als Schutz gegen Ansteckung durch das Virus bringen würde – in Deutschland etwa vor dem Hintergrund, dass gar nicht genug Masken verfügbar waren! – wurde das Maske-Tragen durch Virologen, Mediziner und die Regierungen von Bund und Ländern zunächst einmal empfohlen. Heute gilt unter bestimmten Umständen die Maskenpflicht.
Diese Maskenpflicht hat – initiiert durch sogenannte „Querdenker“ – eine „demokratische“ Bewegung ausgelöst, wobei im Zentrum dieser „Demokratie“ die persönliche Entscheidungsfreiheit darüber steht, ob man eine Maske trägt oder nicht. Das Maske-Tragen erscheint als ein ganz und gar unerhörter Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit, manchen gar als Beginn der Diktatur. Ohne wenn und aber wird die Position des oben zitierten Vorarbeiters in die Welt posaunt. Auch Prominente wie Fußballweltmeister (1990) Thomas Bertholt ließen sich nicht lange Bitten und verkündeten vor versammeltem Volk, dass jeder selbst entscheiden solle, ob er eine Maske trägt. Die AFD als größte und relevanteste politische Vorkämpferin für „Demokratie“ verlangt, die Maskenpflicht muss weg. Im Ernst jetzt: wirklich jede Maskenpflicht? Werden keinerlei Notwendigkeiten akzeptiert, die das Tragen von Schutzmasken zu einer Pflicht machen könnten? Soll die persönliche Entscheidungsfreiheit auch für die eingangs angesprochenen Arbeitssituationen (Industrie, Handwerk, Gesundheitswesen) gelten?
Naja, im Kern geht es ja zunächst um die Frage, welche Gefahr vom Coronavirus ausgeht …. und ob da überhaupt eine besondere Gefahr „für Leib und Leben“ besteht. Darüber lässt sich auch sicher streiten. Aber man macht ja eine Frage der Demokratie daraus, benutzt diesen Streit, um daraus einen Streit um Demokratie zu machen und scheut selbst davor nicht zurück, die Maske als Gefahr für „Leib und Leben“ zu stilisieren. Es ist eine aufgeregte und verlogene Kampagne für eine Demokratie der uneingeschränkten persönlichen Entscheidungsfreiheit, also der bürgerlichen Demokratie.
Verlogen ist diese ganze Kampagne für die persönliche Entscheidungsfreiheit schon deshalb, weil sie sich einen Dreck schert um die Diktatur, die in der kapitalistischen Privatwirtschaft herrscht.
Die vom Kapital eingesetzten Vorgesetzten – man kriegt die in der Tat vorgesetzt! – haben Weisungsbefugnis und die LohnarbeiterInnen haben nichts zu melden. Die Vorschriften zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz werden ihrerseits aber den einzelnen kapitalistischen Unternehmen durch Staat und DGUV „vorgesetzt“, pardon vorgeschrieben. Das ist aus meiner Sicht eine soziale Errungenschaft, die nicht einer „Demokratie“ geopfert werden darf, die nach persönlicher Entscheidungsfreiheit schreit.
Diese persönliche Entscheidungsfreiheit gehört zur „Privatautonomie“, ist u.a. im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert und war zunächst die Basis dafür, dass die einzelnen KapitalistInnen alle Freiheit der Welt genossen und sich einen Dreck um Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz scherten. Und das ist nur zum Teil Geschichte. In vielen Ländern der Welt und in vielen Klein- und Mittelbetrieben hierzulande ist das auch heute noch so. Wo es um Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz geht, muss die persönliche Entscheidungsfreiheit sich der sozialen Ein- und Vorsicht unterordnen. Wer Demokratie wesentlich versteht als einen Rahmen für persönliche Entscheidungsfreiheit, der vertritt eben die bürgerliche Demokratie sozusagen in „Reinkultur“, unbefleckt von jeder gesellschaftlichen Einmischung in „private Angelegenheiten“, wozu nicht zuletzt die Privatproduktion gehört.