Der folgende Beitrag dokumentiert den aktuellen exChains-Newsletter von TIE (Transnationals Information Exchange) vom 03. April 2020. Hier kann der Newsletter als pdf heruntergeladen werden.
Täglich gibt es neue Folgen der durch den Corona-Virus ausgelösten Krise. Regierungen rund um den Globus schnüren Rettungspakete, das Alltagsleben sowie politische und Freiheitsrechte sind massiv eingeschränkt. Für Beschäftigte im Einzelhandel und der Bekleidungsindustrie bedeutet dies eine weitere Prekarisierung ihrer Lebenssituation und eine ungewisse Zukunft.
Den Beschäftigten im deutschen Handel – gestern noch als Held*innen tituliert – verkündet der Handelsverband, die vereinbarten Tariferhöhungen im April oder Mai bis zum Ende des Jah-res aufzuschieben. Dies betrifft auch die Kassiererinnen und Kolleg*innen im Lebensmittelhandel, die derzeit unter besonders harten Bedingungen arbeiten.
Der Modekonzern Esprit beantragte für mehrere Tochtergesellschaften eine Schutzschirm-Insolvenz. Wie viele Stores geschlossen und wie viele der rund 2.300 Beschäftigten dabei ihren Arbeitsplatz verlieren werden, ist unklar. Betriebsräte vermuten, dass Esprit mit dem Verfahren einen Unternehmensumbau vorantreibt: ein neuer Modekonzern nach der Insolvenz ohne Betriebsräte, mit neuen Belegschaften und neuem Konzept. Gleichzeitig erschwert die Corona-Krise sich zu organisieren. Betriebsversammlungen finden nicht statt und die Betriebsratsarbeit ist zumeist nur per Video- oder Telefonkonferenz möglich.
Für den April erhielten die Kolleg*innen noch ihren Lohn, nun aber wächst die Sorge wie es weitergeht.
Diese Unsicherheit haben auch Bekleidungsarbeiter*innen in Indien. Dort bleiben bis mindestens Mitte April alle Fabriken geschlossen. Lediglich Fabriken, die Schutzkleidung und Atemmasken herstellen, dürfen produzieren. Der Lohn muss laut Regierungsanordnung weitergezahlt werden. Ob die Unternehmen sich daran halten, wird sich ab dem 7. April zeigen, wenn normalerweise die Lohnzahlungen anstehen. Ende des vergangenen Monats hatte sich bereits gezeigt, dass nicht alle Unternehmen die Regierungsanordnung befolgen. Einzelne Zulieferer weigerten sich, Löhne trotz Fabrikschließung zu zahlen. Unsere Kolleg*innen von GATWU haben daraufhin über WhatsApp und soziale Medien Proteste organisiert. Hier zahlen sich ihre gut funktionierenden Betriebsgruppen aus. Wo diese aktiv geworden sind, ist es gelungen Druck aufzubauen. Eine Reihe von Unternehmen, die sich verweigert hatten, mussten nun zahlen.
Ein großes Problem ist aber: die Arbeiter*innen haben nur Anspruch auf ihren Grundlohn. Dieser ist zu niedrig, um damit über die Runden zu kommen. Deshalb arbeiten viele Beschäftigte normalerweise Überstunden. Zudem steigen die Verbraucherpreise derzeit rasant an. Der Grund dafür ist der landesweite Shutdown der Wirtschaft und des Alltagslebens. Zwar soll die Lebensmittelindustrie und -versorgung gewährleistet sein. Aber da die Polizei die Ausgangssperren mit Gewalt durchsetzt und oftmals ignoriert, ob Menschen bspw. zur Arbeit im Lebensmittelladen gehen, ist die Versorgungslage unklar. Das treibt die Preise. Daher ist die Lage der Kolleg*innen keineswegs gesichert.
Noch prekärer ist die Lage in Bangladesch. Dort sind aktuell etwa 90 % der Fabriken geschlossen. Die Schließungen dauern mindestens bis zum 11. April an. Zunächst wollte die Regierung die Fabriken geöffnet lassen. Proteste und spontane Streiks von Arbeiter*innen zwangen die Regierung dazu, die Fabriken zu schließen. Ledig lich Hersteller von Schutzkleidung und Atemmasken dürfen produzieren lassen. Es gibt aber ein Schlupfloch: Wenn das Unternehmen sicherstellt, dass die Arbeit mit Schutzkleidung und Atemmasken passiert, darf die Fabrik wieder öffnen. Dies wird aber laut unseren Kolleg*innen der NGWF nicht kontrolliert.
Löhne werden nach aktuellem Stand nicht gezahlt. Die Gewerkschaften fordern, dass es Verhandlungen zwischen Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften gibt, um sicherzustellen, dass die Löhne in der Bekleidungsindustrie während der Zeit der Fabrikschließungen weitergezahlt werden. Dies ist in anderen privaten Industrien sowie im öffentlichen Dienst bereits der Fall. Dort, wo es Fabrikgewerkschaften der NGWF gibt, versuchen diese Lohnfortzahlungen zu erkämpfen. Die Auseinandersetzung ist aber äußerst schwierig: Die Unternehmen nehmen Einfluss auf die Regierungspolitik, wohingegen die Gewerkschaften kaum gehört werden.
Es wird deutlich: auch in Zeiten von Corona gehen die Auseinandersetzungen mit den Unternehmen weiter.
Solidarität gilt auch in Zeiten von Corona! Fabrikschließungen bei voller Lohnfortzahlung!