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Im Risikobetrieb

Gespräch mit Florian Fischer, Mitarbeiter bei Mercedes-Benz Rastatt, über die aktuelle betriebliche Situation

In: express 03/2020

Die Frage, inwieweit die Produktion aufgrund der Pandemie eingestellt werden muss, beschäftigt viele ArbeiterInnen rund um den Globus: Die italienische Basisgewerkschaft SICobas hat zum Streik für das Recht auf Nicht-Arbeit aufgerufen. Am 18. März sollen 90 Prozent der Belegschaften der von SICobas organisierten Warenlager dafür gestreikt haben. Im Mercedes-Werk Vitoria-Gasteiz im spanischen Baskenland hatten am 16. März 5.000 ArbeiterInnen mit einem Sitzstreik die Fabrik aus demselben Grund lahmgelegt.

Mittlerweile haben die großen Autokonzerne – VW, BMW, Mercedes-Benz, Opel, Porsche… – die Produktion gestoppt. Doch auch hierzulande war die Empörung über das Weiterlaufenlassen der Betriebe zuvor groß. Wir haben mit Florian Fischer aus dem Rastatter Mercedes-Benz gesprochen, weil die Atmosphäre dort besonders angespannt war. Für Empörung sorgte der Umstand, dass Angestellte in Homeoffice geschickt wurden, während ProduktionsarbeiterInnen weiterhin im Betrieb erscheinen mussten, aber auch die Unternehmensentscheidung, die rund 900 pendelnden MitarbeiterInnen aus dem als Gefährdungsgebiet aus­gewiesenen Elsass weiter zur Arbeit zu beordern. Das Gespräch gibt den Informationsstand vom 18. März 2020 wieder.

Im Zuge der Corona-Krise wird hitzig über die Aufrechterhaltung der Produktion debattiert. Nach VW haben jetzt auch Daimler-Benz und BMW eine massive Reduzierung der Produktion in Europa angekündigt. Wie ist bei euch in Rastatt der Stand der Dinge?

Florian Fischer: Es ist nicht bei der Ankündigung geblieben. Ab Donnerstag, 19. März, steht die Produktion im Mercedes Benz Werk Rastatt. Bis Ende dieser Woche werden noch letzte Arbeiten an zur Auslieferung vorgesehenen Fahrzeugen erledigt. Ab dann läuft ein Mix aus Notbetrieb, Umbauten und Vorbereitungen für den Anlauf des nächsten Modells.

Viele Angestellte konnten schon seit dem frühen März von daheim arbeiten, aber die ProduktionsarbeiterInnen müssen bis dato weiter ins Werk. Wie wird das, vor allem bei den ProduktionsarbeiterInnen, aufgenommen?

Seit letzter Woche (KW 11) sind alle, deren Arbeitsaufgabe es ermöglicht, im Home Office … – »um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren«. Die Empfehlungen des RKI wurden für Besprechungen umgesetzt. Aber nicht in der Produktion. Im Akkord arbeiten wir mit bis zu vier KollegInnen gleichzeitig an einem Fahrzeug. Der Platz in Pausenräumen entspricht gerade mal den Vorgaben aus der Arbeitsstättenverordnung. Von wegen eineinhalb Meter Abstand! Von Tag zu Tag stieg der Unmut. Ich habe erlebt, wie die Mischung aus Angst und dem Gefühl, ausgeliefert zu sein, KollegInnen lähmt. Da heißt es: »Der Betriebsrat soll endlich das Werk zu machen!«

Wie hat sich der BR dazu positioniert?

Schwierige Frage … Ich nehme mal an, dass auch die Betriebsratsmitglieder von der Situation überrollt wurden. Es gibt schon die eine oder den anderen, die bei uns in der Belegschaft glaubhaft rüberkommen. Auch versucht haben, der Panikmache was entgegen zu setzen, und die Werkleitung dazu aufzufordern, wenigstens die Hygienemaßnahmen zu ermöglichen. Z.B., dass die Toiletten, Pausen- und Umkleideräume öfter gereinigt werden. Eine Diskussion hat mir ein Kollege erzählt. Da hat jemand vom Betriebsrat gesagt: Jetzt können wir sehen, wie der Kapitalismus funktioniert. Am Band, in der Produktion, wo der Profit rausgezogen wird – und nur da – stehen die KollegInnen dicht an dicht und kloppen die letzten Autos raus.

Die Ansage, dass die »Büroleute« von Zuhause arbeiten sollen, war aber, so wie ich mitgekriegt habe, eine einseitige. Trotzdem haben wir das so wahrgenommen, dass insgesamt der Betriebsrat mit der Werkleitung zusammengearbeitet hat – Es gab bzw. gibt täglich eine »Krisenstab«-Sitzung – ich weiß natürlich nicht, was da genau besprochen wurde.

Denn eins war wirklich schlecht in den letzten 14 Tagen: Es gab kaum Informationen und schon gar nichts schriftlich, geschweige denn, dass wir in irgendetwas einbezogen wurden.

Die Vertrauensleute hatten dann am Mittwoch, also am letzten regulären Arbeitstag, eine Videokonferenz. Die VK-Leiterin hat die Gesamtbetriebsvereinbarung zur Betriebsschließung und Hintergründe, warum im Gesamtbetriebsrat so entschieden wurde, erklärt. Das war wohl ganz gut. Informativ und endlich mal Informationen an einem Stück.

Das Rastatter Werk liegt direkt an der französischen Grenze und damit auch direkt an einer Region, die früh als Gefährdungsgebiet ausgewiesen wurde. Gleichzeitig kommt aber auch ein guter Teil der Belegschaft aus diesem Gebiet. Wie wird mit dem Problem des Pendelns seitens Unternehmen und BR umgegangen?

Insgesamt arbeiten rund 7.500 Menschen direkt im Mercedes Benz-Werk. Etwa 900 KollegInnen pendeln aus Frankreich. Diese KollegInnen sind noch eineinhalb Tage nach der Einstufung von Frankreich Grand Est als Risikogebiet zur Arbeit ins Rastatter Benz-Werk gekommen. Das gab richtig Unruhe und dann waren sie doch ganz schnell zuhause und bis zum 18. März bezahlt freigestellt. Das hat der Betriebsrat erreicht. Allerdings gab es ab da eine eingeschränkte Produktion. Um die Lücken zu füllen, wurde eine Schicht komplett aufgelöst und die Menschen auf die anderen Schichten verteilt. Wie das gelaufen ist, war schon irre. Unfassbar, dass das überhaupt so geklappt hat. Das wird sich die Werkleitung gut merken für die Zukunft: wie flexibel wir sind …

Und wie wurde dieses Problem in der Belegschaft diskutiert?

Von »Schickt die Sch*…-Franzosen endlich heim« bis zum Neid auf die bezahlte Freistellung war so gut wie alles zu hören. Aber zu dem Zeitpunkt brodelte es sowieso von Minute zu Minute mehr in dem Laden. Bei diesem Thema kam auch der Einfluss der Berichterstattung, wenn man das denn überhaupt so nennen kann, raus.

Wie kann man sich die Umsetzung von Schutzmaßnahmen für diejenigen, die weiterhin ins Werk kommen müssen, vorstellen? Welche Maßnahmen wurden ergriffen, und reicht das aus Deiner Sicht?

Auch hier kann ich nur meinen kleinen Ausschnitt berichten: Die Selbstbedienung in den Kantinen wurde eingestellt, auch in den Verpflegungs-Shops. Hygienemaßnahme. Die Toiletten, Pausen- und Umkleideräume wurden häufiger gereinigt. Außerdem haben die Chefs in allen Abteilungen empfohlen, das Hände-Schütteln zu lassen. Die Werksärzte waren wohl auch in den Hallen unterwegs und haben vereinzelt zu Corona und zum richtigen Händewaschen aufgeklärt. Leute, die aus Risikogebieten kamen, z.B. vom Ski-Fahren in Südtirol, wurden nach Hause geschickt. Und natürlich diejenigen, die Kontakt mit Corona-Infizierten oder sich selbst angesteckt hatten. Bei den Fällen von tatsächlich Erkrankten in einem Bereich wurden die KollegInnen mit direktem Kontakt für vierzehn Tage in Quarantäne geschickt….

Ob das alles reicht? Mal abgesehen davon, dass ich sicher nicht alles mitbekommen habe, was getan wurde, bin ich mir nicht sicher, ob dieses Virus nicht doch übertrieben wird.

Zuletzt: Gibt es seitens des Unternehmens und auch des BR Pläne und Strategien, wie es nun unmittelbar weitergehen soll? Geht es um eine weitere Reduktion, oder ist eine Schließung der Produktion absehbar? Wie sieht es mit Kurzarbeit aus, wie soll die umgesetzt werden – und welche Regelungen gibt es für Werkverträgler bzw. LeiharbeiterInnen oder für die Beschäftigten der Zulieferfirmen auf dem Gelände aus?

Die Schließung ist seit heute da. Der Gesamtbetriebsrat hat von den einzelnen Betriebsratsgremien die Verhandlungsvollmacht bekommen, eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Arbeitsunterbrechung abzuschließen. Alle Werke haben die Produktion eingestellt bis zum 3. April 2020. Bis zum 27. März werden unsere Stundenkonten belastet. Dann werden uns fünf Tage Urlaub abgezogen. Es geht die Rede rum, dass für die Zeit danach Kurzarbeit vorbereitet wird.

Was die LeiharbeiterInnen angeht: Das ist wirklich schlimm, denn da gibt es einige, die seit Herbst 2019 bei uns waren und Ende Februar gehen mussten, dann wieder reingeholt wurden, um die Lücken der Frankreich-Pendler zu füllen … und jetzt schauen sie wieder in die Röhre. Allerdings gibt es auch schon länger beschäftigte Kollegen Leiharbeiter, die aus Frankreich gependelt sind. Die wurden ebenfalls bezahlt freigestellt, als Nordfrankreich zum Risikogebiet erklärt wurde.

In den Zulieferfirmen lief es fast parallel mit der Schließung bei uns. Angeblich nutzt die eine oder andere Firma diese Zeit für Umbau usw., allerdings weiß ich da nichts Konkretes.

In jedem Fall: Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Konzernleitung – und nicht nur die bei Daimler – es sehr gut ausnutzt, was gerade passiert. Und wir müssen uns wieder daran erinnern, wie das geht, wenn man sich wehren muss!