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Kein Homeoffice für Callcenter-Beschäftigte?

Ich arbeite als Kundenberater im Callcenter eines größeren digitalen Finanzdienstleisters. Das Unternehmen wirbt mit bargeldlosem Zahlungsverkehr, aber wir beraten vor allem Leute, die ein Konto bei dieser Bank ohne Filialen haben. An unserem Standort in Leipzig arbeiten grob geschätzt 200 Leute. In dem Gebäude sind verschiedene Abteilungen untergebracht, nicht nur unser Callcenter.

Mit Beginn der allgemeinen Corona-Schutzmaßnahmen wurden die meisten Beschäftigten vor die Wahl gestellt, ob sie lieber an ihrem gewohnten Arbeitsplatz oder zuhause arbeiten möchten – für ein Unternehmen, das sowieso komplett in der digitalen Welt operiert, ist das ja auch kein größeres Problem. Uns Kundenberater*innen im Callcenter wurde diese Wahl allerdings nicht angeboten. In unserem Großraumbüro wurden strengere Abstandsregeln eingeführt, und an uns wurde per E-Mail appelliert, die Hände regelmäßig zu waschen und zu desinfizieren. In dem Gebäude ist nicht nur unser Unternehmen untergebracht. Aufzüge, Türen und so weiter werden jeden Tag von vielen Menschen benutzt, und natürlich weiß man nicht von allen, wie sie mit Abstands- und Kontaktregeln umgehen. Außerdem haben wir keine festen Plätze im Büro, sondern sitzen immer wieder an unterschiedlichen Plätzen.

Wir betreten unseren Arbeitsplatz mit einem unguten Gefühl, und wir wollten ebenfalls von daheim arbeiten, was technisch jedenfalls kein größeres Problem wäre. Es kommt noch hinzu, dass in der Beratung viele Ausländer*innen arbeiten – das Unternehmen setzt auf unsere Mehrsprachigkeit, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Deutsch… So war aber auch eine deutliche Trennung in der Belegschaft zu merken: Die Deutschen konnten zuhause bleiben, während die Ausländer*innen weiter zur Arbeit gehen mussten.

Wir haben eine Petition an die Geschäftsführung aufgesetzt. Darin haben wir unsere Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, dass wir nicht gefragt worden sind, wo wir arbeiten möchten, und wir haben deutlich gemacht, dass die Bedingungen uns Angst machen. Wir haben gefordert, auch wählen zu können, ob wir ins Büro kommen oder unsere Schichten zuhause ableisten. Die Antwort darauf war ziemlich ernüchternd: Unser Verweis auf Kolleg*innen, die bereits zuhause arbeiten, sei „unfair und unkollegial“; die Arbeit unseres Unternehmens unterliege gleich mehreren rechtlichen Bestimmungen, die Arbeit im Home Office für uns ausschließe („Home Office ist weder ein Bonus noch ein Beweis an Vertrauen – für uns als Unternehmen ist es an erster Stelle ein großes Risiko“) – und überhaupt müssten wir alle diese Krise jetzt gemeinsam durchstehen und zusammenhalten. Der Unterton war, dass es sehr egoistisch von uns ist, nicht stärker an das Wohl der Firma zu denken. „Ruhig und kollegial“ müssten wir die Ausnahmesituation meistern – und das gerade in Zeiten, in denen bargeldloses Bezahlen einen beispiellosen Boom erlebt..

Zu Beginn der Corona-Krise war der Krankenstand ziemlich hoch, und es war relativ leer im Büro. Das ändert sich gerade wieder, und damit wird auch unsere Sorge vor Infektionen am Arbeitsplatz wieder größer. Gleichzeitig wissen wir im Moment nicht so recht, was wir tun sollen. Wir haben keinen Betriebsrat – für viele von uns ist der Arbeitsplatz auch wichtig für den Aufenthaltstitel, so dass wir den offenen Konflikt mit der Geschäftsführung lieber vermeiden wollen. Die Geschäftsführung verweist in ihrem Schreiben auf die Möglichkeit eines Einzelgesprächs, um uns „individuell und persönlich“ nochmal zu erklären, warum sie so entschieden hat – aber was soll das bringen?

Marc (Name geändert) lebt in Leipzig und hat uns am 16. April von seiner Arbeit im Callcenter berichtet.