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Kaufland: Arbeiter*innen kritisieren Gesundheitsrisiken

Als „Vorkämpfer gegen das Coronavirus“ (SVZ vom 27.03.2020) bekommen die Mitarbeiter*Innen deutscher Einzelhandelsketten derzeit mehr Aufmerksamkeit für ihre Arbeitsbedingungen als im Normalbetrieb. Konzernchefs rühmen den „unermüdlichen Einsatz“ (ebd.) in einer Branche, die wiederholt wegen schlechter Bezahlung, Tarifflucht und der erzwungenen Flexibilisierung von Arbeitszeiten in der Kritik stand (Aktion Arbeitsunrecht vom 10.12.2019). Die Mitarbeiter*Innen bei Aldi, Kaufland und Co. sind wie wenige andere Berufsgruppen täglich dem Kontakt mit hunderten Menschen ausgesetzt – ohne dies ernsthaft beeinflussen zu können.

Nun wird die Praxis des Umgangs mit dem Coronavirus in den Plauener Kaufland-Filialen kritisiert: Die Sicherheitsvorkehrungen sind nach Angaben von Beschäftigten nicht ausreichend. Auf Wunsch der Kund*Innen hin wurden einzelne Sicherheitsmaßnahmen sogar rückgängig gemacht, andere Mängel wiederum sind dem Personalnotstand geschuldet. Deutlich wird: Die Beschäftigten haben Angst um ihre Gesundheit. Auch an den Prämienzahlungen (SVZ, 27.03.2020) gibt es Kritik.

In vielen Supermärkten ist es derzeitig gängige Praxis, dass von den Doppelkassen jeweils nur eine Kasse geöffnet wird. Aus mehreren Kaufland-Filialen in Plauen wurde in der letzten Woche hingegen berichtet, dass die Kolleg*Innen an mehreren Tagen stundenlang unmittelbar Rücken an Rücken sitzen mussten – der Abstand beträgt maximal einen halben Meter. Teilweise saßen die Mitarbeiter*Innen eine komplette Arbeitsschicht – meist 4 bis 6 Stunden – eng beieinander. Die Mitarbeiter*Innen sind so nachvollziehbarerweise in ständiger Angst, dass es ohne weiteres zu Ansteckungen kommen kann. Zugleich werden damit die derzeitigen allgemeingültigen Infektionsschutzmaßnahmen, die im Wesentlichen das Ziel verfolgen, die Kontakte jeder Person so weit wie möglich auf den engsten privaten Rahmen zu begrenzen, komplett unterlaufen. Gleiches wurde auch in anderen Einzelhandelsketten in Plauen, wie z. B. Edeka, beobachtet.

Hinzu kommen neuerdings Abweichungen von der Einlasspraxis, die von den Arbeiter*Innen ebenfalls kritisch gesehen werden. Derzeit regulieren vermutlich alle Einzelhandelsketten in Deutschland den Zugang ihrer Kund*Innen, so auch Kaufland. Die Regelung „ein Einkaufswagen pro Person“ verfolgt das Ziel, den Abstand zwischen den Menschen einzuhalten, die sich im Supermarkt aufhalten – zum Schutz der Kund*Innen untereinander, aber auch zum Schutz der Mitarbeiter*Innen. Sie galt im Kaufland Plauen zunächst für ausnahmslos alle Menschen, auch für Familien. Außerdem ist die Anzahl der Kund*Innen, die gleichzeitig die Filiale betreten dürfen, begrenzt. Nachdem es Kritik durch Kund*Innen gab, wurde am vergangenen Mittwoch (dem 25.3.) den Mitarbeiter*Innen mitgeteilt, dass Familien nun wieder geschlossen einkaufen können – mit einem Einkaufswagen. Seitdem scheint es regelmäßig vorzukommen, dass sich Kinder unbeaufsichtigt im Kaufland bewegen – ihnen ist natürlich das Ansteckungsrisiko nicht so bewusst wie erwachsenen Menschen. Angestellte im Supermarkt sind jedoch derzeit bis zu 40 Stunden dem ständigen Kontakt mit ihren Mitmenschen ausgesetzt – sie können sich diesen Kontakt weder aussuchen, noch haben sie stets die volle Kontrolle über diesen Kontakt und die Distanz zu Anderen.

Die Mitarbeiter*Innen sind der Ansicht, das der Wunsch der Kund*Innen, gemeinsam einkaufen zu gehen, offenbar höher bewertet wird, als das Sicherheitsbedürfnis der Angestellten. Das ist doppelt gefährlich – werden Mitarbeiter*Innen angesteckt, sind sie leichte Multiplikator*Innen sowohl unter ihren Kolleg*Innen als auch unter den Konsument*Innen. Sie wünschen sich die Rückkehr zu der Eine-Person-Ein-Einkaufswagen-Regel sowie mehr Rücksicht seitens der Kund*Innen: Müssen wirklich Familien in der derzeitigen Situationen geschlossen einkaufen gehen? Reicht es nicht, wenn pro Haushalt eine Person den Supermarkt besucht? Können sich nicht die Menschen aus Rücksicht auf andere freiwillig einschränken?

Zudem lässt sich die Einhaltung des Infektionsschutzes im Moment kaum ernsthaft überprüfen: die wenigen vorhandenen Securities sollen sich gleichzeitig um Einhalt des Abstandes im Kassenbereich kümmern und parallel den Einlass in den Supermarkt kontrollieren. Die Filiale in der Morgenbergstraße hat sogar zeitweise nur einen Security-Mitarbeiter für beide parallel laufenden Aufgaben zur Verfügung.

Mit großem Pathos („Wir versorgen Deutschland“) will sich Kaufland, mit immerhin drei großen Einkaufszentren größte Einzelhandelskette in Plauen, gesellschaftlich profilieren. Auf den ersten Blick soll auch intern alles sicher ablaufen: Es gibt genaue Regelungen zum Abstand bei Teamtreffen, zur Benutzung des Pausenraumes und so weiter. Aber sind die Hygieneregelungen im Kassenbereich auf einmal außer Kraft gesetzt? Und was ist mit der seit längerem bekannten Einsparungspolitik beim Personal?

Teilzeitkräfte wurden bis vor kurzem teilweise mit Verträgen zwischen 6 und 15 Stunden Wochenarbeitszeit eingestellt. Auf diese Weise spart sich das Kaufland Sozialabgaben. Die Arbeiter*Innen sind wiederum häufig darauf angewiesen, mit staatlichen Sozialleistungen aufzustocken. Wenn sie Überstunden machen – was regelmäßig vorkommt – bekommen sie das auf die Sozialleistungen angerechnet. Kritiker*Innen sehen darin eine versteckte staatliche Subventionierung der Unternehmenspolitik der Schwarz-Unternehmensgruppe (3)). Die selben Angestellten, die vorher zu flexiblen Arbeitszeiten und Aufstocken mit Hartz IV gezwungen waren, müssen aber nun auf einmal die selbe Arbeitszeit wie eine Vollzeitkraft aufwenden. Doch es ist absehbar, dass die vermeintlichen „Helden“ der derzeitigen Situation nach Ende der Krise sofort wieder zurück auf ihre geringe Stundenzahl gedrückt werden.

Die Konzernleitung zeigt derzeit mit Einkaufsgutscheinen für Mitarbeiter*Innen immerhin guten Willen – und spaltet zugleich die Belegschaft in Festangestellte, Auszubildenende und Werksstudent*Innen, die einen 250-Euro-Gutschein erhalten, auf der einen Seite und geringfügig Angestellte, denen nur ein 75-Euro-Gutschein zusteht, auf der anderen Seite. Es verdient jedoch Anerkennung, dass sich die Angestellten in der derzeitigen Situation überhaupt diesem Gesundheitsrisiko aussetzen und auf Arbeit erscheinen – unabhängig von der Anzahl der Stunden oder der Art des Beschäftigungsverhältnisses. Eine finanzielle Staffelung der Gutscheine ist nicht das adäquate Mittel, um allen Mitarbeiter*Innen gleichermaßen eine Anerkennung in diesen Krisenzeiten zu demonstrieren.

Derzeitig ändern sich die Regelungen im Umgang mit Corona – also die Sicherheitsstandards und deren Umsetzung – fast täglich. Die Mitarbeiter*Innen hoffen im Moment, dass Arbeitsschutz und allgemeine Infektionsschutzmaßnahmen zukünftig unangetastet bleiben. Die Beschäftigten interpretieren das inkonsequente Verhalten der Geschäftsleitung als Einknicken gegenüber der Kritik der Kund*Innen, die letztendlich nur durch deren Bequemlichkeit hervorgerufen wird. Den Kundenwünschen gern folgend sind alle Mitarbeiter*innen trotzdem nicht bereit ihren Kopf oder Gesundheit herzugeben – weder jetzt noch in Zukunft!

FAU Jena/ Stadt-AG Plauen