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Die Gunst der Stunde: Kroatische Regierung will Arbeitsgesetzbuch abschaffen

Andrea Milat* zur Notwendigkeit der Organisierung von Arbeiter*innen

Während die Beschneidung von Bürgerrechten im Zuge der Corona-Krise breiter diskutiert wird, finden die Einschränkungen in Arbeitsrechten und Mitbestimmung weniger Aufmerksamkeit. Ein Blick nach Kroatien zeigt, dass die Forderung nach öffentlichen Subventionen für die Privatwirtschaft Hand in Hand mit der nach der Abschaffung von Arbeitsrechten geht – in der Krise wird die Doppelmoral des (neo-)liberalen Staatsverständnisses überdeutlich.

Noch nie in unserer Generation war die Bedeutung der gewerkschaftlichen Organisationstätigkeit so klar in der Praxis zu sehen. Während die Regierung mit den stets gut organisierten Arbeitgebern heimlich daran arbeitet, das Arbeitsgesetzbuch (vorübergehend?) außer Kraft zu setzen, beschäftigt sich die „gemäßigte“ Linke mit dem Thema Bewegungsfreiheit – ein wichtiges Prinzip, das aber vorübergehend ohnehin weltweit eingeschränkt ist, was nicht heißt, dass man für den Schutz dieses Rechtes nicht auch kämpfen müsste. Aber meiner Meinung nach handelt es sich im besten Fall um den dritten Punkt auf der Prioritätenliste (Gesundheit, sozioökonomische Situation, Bewegungsfreiheit). Dass man uns über Handysignale verfolgt, sei es legal oder nicht, ist in keinster Weise neu, schon gar nicht für Aktivist*innen, Journalist*innen und die Linke, besonders für diejenigen, über die im Aktenordner „radikale Linke“ steht. Neu ist allerdings der Versuch, Rechte abzuschaffen, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben.

Schon seit Wochen legen Berufs- und andere Verbände im Land ihren zuständigen Ministern Pläne, Maßnahmen und Forderungen nach der Investition öffentlicher Mittel gerade in ihrem Bereich vor. Die Regierung allerdings, obwohl sie etwas mutiger und selbständiger als sonst auftritt, zeigt auch jetzt nicht genug Mut, um die Arbeiter*innen mehr zu schützen. Während in Kroatien schon die Bezahlung der Nettolöhne aus dem öffentlichen Budget eine sehr weitgehende Forderung zu sein scheint, haben die Beschäftigten in Irland bereits begonnen, zu Hause zu bleiben, und erhalten sogar 70 Prozent des Lohns aus öffentlichen Mitteln. Die ökonomischen Maßnahmen der kroatischen Regierung haben die Angst vor einem weiteren ökonomischen Kollaps nicht beseitigt. Und wie sollten solche Maßnahmen auch von einem Staat ergriffen werden, dessen Wirtschaft zu 30 Prozent vom Tourismus abhängt und der die Rentiers nicht ignorieren kann, obwohl wir alle in der Arbeiterklasse gerade das am liebsten täten. Denn wenn wir dem öffentlichen Sektor, der sogar im Erdbeben und in der Corona-Krise arbeitet, das Etikett „uhljeb“[1] anheften wollen, wie sollen dann die Rentiers bezeichnet werden – außer als Parasiten? Und dennoch kümmert sich die kroatische Regierung mehr um die Rentiers als um den öffentlichen Sektor. (Oder um die Landwirte, die gegenwärtig erneut das Fundament aller Fundamente sind). Während sie den Rentiers Erleichterungen serviert, statt ihre überschüssigen Quadratmeter zu verstaatlichen (ob es sich nun um leerstehende Immobilien von Banken oder solche der höheren Klassen handelt), bereitet sie für andere Menschen Lohnkürzungen vor. Alle Gewerkschaftsdachverbände sind dagegen, aber keiner von ihnen hat, weder allein noch gemeinsam, die geringste politische oder gesellschaftliche Macht, um irgendetwas in dieser Frage zu bewirken. Die Regierung ist schlicht und ergreifend nicht verpflichtet, ihnen zuzuhören. Das hat sich innerhalb von einigen Wochen klar gezeigt.

Deshalb wird oft Lobbyarbeit über die SDP[2] betrieben. Diese Partei hat ohnehin den zivilgesellschaftlichen Sektor in Kroatien geschaffen, und dieser funktioniert nach Bedarf als sozialdemokratischer Think-Tank. (Die SDP kam im Jahr 2000 erstmals an die Macht, und zwar mit Hilfe von „Glas 99“, einem Bündnis von über 140 NGOs. In diesem Zusammenhang schuf sie auch die Infrastruktur und die Finanzierungsbasis für NGOs, Anm. d. Ü.) Nun ist die SDP aber trotzdem eine neoliberale Partei, und die Argumente, die der zivilgesellschaftliche Sektor produziert, benutzt sie in parlamentarischen Debatten sophistisch, während die Maßnahmen, die sie sich selbst ausdenkt, in der Regel am Ende dennoch liberal sind. Die SDP bzw. ihr früherer Premierminister, der jetzige Staatspräsident, war der Erste, der Lohnkürzungen im öffentlichen Sektor vorschlug. Daraufhin meldete sich das Institut für öffentliche Finanzen und erklärte, dass solche Maßnahmen sinnlos seien. Sie  haben nur minimale Effekte, zerstören aber gleichzeitig die Kaufkraft der Bürger und würgen die Wirtschaft zusätzlich ab. Solche Maßnahmen werden gerade der lokalen Wirtschaft am meisten schaden.

Die Dynamik von Unternehmern und von „uhljebi“

Die Dynamik von Unternehmern und „uhljebi“ nimmt so einen neuen Rhythmus an, in dem die wechselseitige Abhängigkeit ein wenig klarer wird. Die Teilung in Unternehmer und „uhljebi“ wird uns jetzt mehr polarisieren als einst die ethnischen Spaltungen, denn alle halten ihre eigenen Interessen gerade für prioritär. Und jeder hat aus seiner Perspektive Recht. In meinen Augen handelt es sich derzeit nicht einmal um eine Teilung in ökonomische Basis und kulturellen Überbau, denn Zagreb ist eine Stadt, in der eine größere Zahl von Kulturschaffenden tätig ist (mehr als in jeder anderen kroatischen Stadt), die die Mittelklasse bilden und etwas höhere Konsumausgaben haben. Gerade sie sind die Kunden der lokalen Unternehmer und Gewerbetreibenden.

In einem solchen gesellschaftlichen Umfeld werden wir mit der weisen Maßnahme der Regierung konfrontiert, Arbeiterrechte außer Kraft zu setzen. Ginge es nach den Arbeitgeberverbänden, wäre das Arbeitsgesetzbuch schon für außergesetzlich erklärt worden, um den Einfluss der Gewerkschaften zu reduzieren. Aber glücklicherweise hängt dieser Prozess von den Gewerkschaften ab, dem angeblich dritten Eck des Dreiecks Regierung – Arbeitgeber – Gewerkschaften. Und nur ein Tag, an dem die Gewerkschaften Einspruch erhoben haben, und ein Brief des Europäischen Gewerkschaftsbundes (ETUC) haben gereicht, um die Regierung zu einer – vielfach wiederholten – öffentlichen PR-Erklärung zu veranlassen, dass über die Abschaffung der Rechte aus Arbeitsverhältnissen nicht einmal geredet werde und alle Veränderungen mit den Gewerkschaften verhandelt würden.

Aber die Gewerkschaften sind nur so stark wie ihre Mitglieder. Sogar ihre Drohungen gegenüber der Regierung waren bisweilen leer, und ihre Stärke hängt von der Zahl der Mitglieder ab. Die Gewerkschaften sind derzeit die einzigen Institutionen, die unsere Arbeiterrechte schützen – egal ob im realwirtschaftlichen, öffentlichen oder kulturellen Sektor. Die Gewerkschaften existieren nur zu diesem Zweck, und jetzt ist ein neuer historischer Augenblick für sie gekommen. Ihre Aufgabe ist nicht nur, das zu verteidigen, was uns an Rechten in der Zeit des Neoliberalismus geblieben ist, sondern auch, für uns neue Rechte durchzusetzen, sie auszuweiten und die Regierung zu überzeugen, dass wir nur auf diese Weise die Krise in all ihren Aspekten (ökonomisch, sozial, gesundheitlich) überleben werden. Abgesehen von Euren Arbeiterrechten kümmern sich gewerkschaftliche Netzwerke auch um Eure alltäglichen Bedarfsartikel, und ohne Zweifel wäre in einer hypothetischen Situation des Mangels an Nahrung oder Ähnlichem die erste Hilfe am leichtesten über die Gewerkschaften zu organisieren. Daher – falls Ihr das noch nicht getan habt – werdet Gewerkschaftsmitglieder, auch wenn Ihr gerade erst Mitglieder kleiner NGOs geworden seid oder wenn Ihr Arbeiter in irgendeinem Teil des kulturellen Sektors seid.

* Andrea Milat, 31. März 2020 – die Autorin lebt in Zagreb und arbeitet als Chefredakteurin des linken Onlineportals Bilten. Der Beitrag ist im Original am 31. März 2020 hier erschienen

Übersetzung: Heiko Bolldorf

In der Mai-Ausgabe des express werden wir einen ausführlichen Beitrag von Heiko Bolldorf über die Situation der Beschäftigten und der Gewerkschaften in Kroatien veröffentlichen.


[1] „uhljeb“ ist abgeleitet von „hljeb“ (Brot). Damit wird jemand bezeichnet, der seine Stellung seiner Parteimitgliedschaft oder anderen Arten von Vetternwirtschaft verdankt. Immer öfter wird diese Bezeichnung von neoliberaler Seite auf den ganzen öffentlichen Sektor angewendet, um dessen Abbau und parallel die steuerliche Entlastung des angeblich allein produktiven Privatsektors zu fordern (Anmerkung H.B.).

[2] Socijaldemokratska Stranka Hrvatske (Sozialdemokratische Partei Kroatiens), H.B.