Drücke "Enter", um den Text zu überspringen.

Wasserstandsmeldung einer Solo-Selbständigen

Bericht von S.B.*, zuerst veröffentlicht bei der Gewerkschaftslinken Hamburg.

Ich wurde darum gebeten einen persönlichen Bericht zu verfassen, wie es mir als Kleinstselbständigen — Solo-Selbständige jetzt in der Corona Krise ergeht.
Die Antwort: Mir geht es nicht; ich lasse das Leben auf mich regnen!

Mein Einkommen erwerbe ich in Intervallen. Es gibt einkommensstarke Monate und Monate in denen Kleinstbeträge in der Kasse erklingen. Ein Großteil meiner Aufträge für 2020 wurde bereits 2018/2019 von Institutionen, Firmen, Vereinen usw. gebucht. Ich habe jetzt bereits Buchungen für 2021 und eigentlich plane ich unter normalen Bedingungen jetzt 2022. Es tut sich nichts. Die Auftragslage ist bis auf weiteres storniert.

Meine Unternehmung betreibe ich seit 1988 und ich habe „mein Schiff“ immer mit mindestens eine Handbreite Wasser unterm Kiel gehalten. Ich bin krisenerprobt und seelisch krisenfest. Es hat etwas von „Bitte nicht jetzt schon wieder! Ich mag diese Wirtschaftskrisen nicht mehr.“

1989 – 1992
waren für mich goldene Wirtschaftsjahre und so konnte ich viel Geld in meine Qualifizierung investieren. Meine Qualifizierung wurde ausschließlich von mir persönlich finanziert. Bis heute.

2007- 2009
hat mich die Finanzwirtschaftskrise wirklich geschröpft. Diese Phase hat mich wirtschaftlich wirklich an den Rand des Möglichen gestellt. Aus dieser Krise habe ich finanztechnisch unglaublich viel gelernt. Als alleierziehende Solo-Selbstständige bekam ich in Hamburg weder einen Dispositionskredit noch andere seriöse Kredite. Ich finanzierte meine Familie ausschließlich über meine Honorare. Bei der Kreditvergabe gilt immer der Grundsatz, dass Wucherkredite und Finanzgeiselhaft immer möglich sind, auch wenn sie dich „umlegen“. Ich rate immer ab von solchen Geldgebenden. Ich rate: „Finger weg. Immer!“ In dieser Zeit hat mir ein solidarischer Mensch erzählt, dass ich, damit ich in die Verfügung eines Dispositionskredites gelange nur ein kleines Geldspiel in Gange bringen muss. Ich brauche zwei Konten. Ich überweise jeden Monat möglichst immer 3.000,00 € von dem einen Konto auf das andere Konto und wieder zurück. Der Bankcomputerrechner wird automatisch diese Kontenbewegungen registrieren und mir sofort einen Dispositionskredit auf beiden Konten zur Verfügung stellen. So kam es dann auch. Ich habe ihn nie angerührt, glücklicherweise. Ich finanziere mich seit dem Corona-Schock aus meinen Dispositionskrediten. Und ich habe wie immer in meine Qualifizierung investiert.

2012

war das Jahr, indem der Beratungsmarkt klarstellte, dass eine wie ich, immer storniert werden kann. Selbst dann, wenn die Bedingung „Kündigung“ genannt wird. Das BGB kennt keinen Honorarausfallersatz. Wie bei einer Stornierung wird der Anspruch auf gegenseitiger Leistung sozusagen weggelöscht. Diese harte Bedingung kann selbstverständlich im Individualvertrag zu meiner Gunsten geregelt werden. Seit 2012 verlange ich in der Geschäftsbeziehung, wo immer es möglich ist, einen Vertrag. Ich möchte kleinste Mindestbedingungen. Ein ganz kleines bisschen Schutz zur wirtschaftlichen Stabilisierung meiner persönlichen Lebensumstände. Ich lebe in Hamburg und das geht leider nur mit Geld. Ich erlaube mir zu sagen, mit viel Geld. Die Lebenskosten sind in Hamburg als Individuum ohne kollektiven Schutz wirklich bedrohlich. Nun ja, selbst in Hamburg erbitte ich einen Vertrag, wenn gleich es mir hochpeinlich ist. Die besten Arbeits.- und Geschäftsbeziehungen laufen, wenn es keinen Vertrag gibt. Es hat etwas vom Vorschussvertrauen und das schätzen Menschen als zwischenmenschliche Kulturbedingung sehr. Eigentlich alle. Es fühlt sich fair an, wenn die Arbeitsziele in einem entspannten Gespräch freundlich vereinbart werden. Und alle Beteiligten erfüllen störungsfrei die Arbeit. Nun gut, seit 2012
erfrage ich wenigstens Verträge. Ich brauche sie kaum. Das Geschäft läuft immer noch und in 2012 habe ich auch erkannt, dass es dringend Zeit wird meine Preise zu erhöhen und das ich nicht immer in Freizeit weiterarbeite. Krank war ich bis Dato niemals.

2015
war irgendetwas mit dem Euro. Sofort standen Gespräche an, indem ich darum gebeten wurde mein Honorar bitte zu reduzieren oder wenigstens einzufrieren. Besonders schön ist es, wenn ich kostenfrei tätig bin. In dieser Zeit habe ich es mir angewöhnt, wie folgt in die Honorarverhandlung zu treten: „ Mit dem Honorar werden wir uns sicherlich ganz schnell einig, sagte ich. Geben Sie mir einfach das höchste Honorar, welches Sie jemals einem Mann in diesem Format gegeben haben. Wenn er nicht meine Qualifikation hatte, dann möchte ich noch eine Qualifizierungsprämie in Höhe von 20% oben darauf.“ Bis heute habe ich mit dieser Begründung noch keinen Vertrag unterzeichnen dürften. Es scheint nicht möglich zu sein. Als großen Erfolg empfinde ich die Tatsache, dass ganz viele Menschen zu wissen glauben, dass ich wirklich zu den teuersten aller Berater*innen gehöre. Das freut mich, wenn es mir wirtschaftlich auch nicht zur Gute kommt. Ich bin ja eine Frau.

2020
Das Jahr verlief ruhig und routiniert. Ich erwartete gute Einkommensmonate für das 2 Quartal und der Sommer ist wie immer fast auftragsfrei. Meine Mandant*innen sind mehrheitlich im Urlaub. Von September bis November bin ich sehr gut gebucht. Der Dezember hat noch Luft. Als die Pandemie in China ausgebrochen war ahnte ich, dass jetzt wieder schlechte Zeiten anstehen. So kam es dann auch, nach dem 11.März 2020. Bereits am Wochenende erhielt ich Absagen. Das Telefon klingelte oft und seit dem 17.März bin ich in vielen Gesprächen und die Ereignisse überschlagen sich. Aus meiner Wahrnehmung ändern sich die Bedingungen täglich. Ich kann gar nicht sagen, wie es mir geht! Ich weiß, dass ich zwei Dispositionskredite habe und diese nutze ich bis heute. Natürlich habe ich mein Schiff sofort am 11.März sturmfest gemacht. Anträge schreiben und Gespräche geführt. Unglaublich viel Solidaritätsarbeit leistend.

Es ist wirklich so, dass ich als Mensch kaum wahrgenommen werde. Es werden Zuschüsse geboten, auf die ich keinen Anspruch habe. Wenn der Topf leer ist, bevor mein Antrag an der Reihe ist, dann bekomme ich diesen Zuschuss nicht. Ich habe den Antrag am 31.März 2020 gegen 05.30 Uhr gestellt. Bis heute am Ostermontag habe ich kein Geld bekommen. Ich warte, was soll ich sonst tun? Erfreulicherweise kann ich jetzt einen Antrag auf Hartz4 stellen! Super. Das ist wirklich neu. Ich habe meinen Antrag auf Grundsicherung am 28.März gestellt und persönlich im JobCenter eingereicht. Bis heute habe ich kein Geld bekommen. Ich warte, was soll ich sonst tun? Am 1. oder 2. April hat mich eine Kollegin vom „Amt“ angerufen und ein paar Abfragen gestellt. Sie meldet sich bei mir im Juni erneut und ob ich Hart4 bekomme, könnte sie mir nicht garantieren. Am 1. und 2. April war das Gesetz nicht geändert. Und so hat sie natürlich auch eine Vermögensabfrage gestellt. Sie ging scheinbar davon aus, dass ich unglaublich reich bin. Nein, ich habe keine gefüllten Konten und natürlich habe ich keine Immobilien. Ländereien, Erbschaften und Unterhaltsansprüche gehören ebenso nicht in mein Leben. Ich habe sofort offen gelegt, dass meine Tochter studiert und dass es meine größte Sorge ist, dass sie ihr Studium nicht beenden darf. Das unsere wirtschaftliche Not sie erzwungener Maßen zwingt, das Studium ohne Abschluss zu beenden. Die Rechtslage war bis Dato so. Sie war ja längst für das Semester immatrikuliert. Insbesondere habe ich erwähnt, dass ich meine Tochter auch von meiner Grundsicherung mit finanziere. Sie lebt ja Zuhause. Nicht das mir am Ende der Abrechnung vorgeworfen wird, ich hätte ich staatliche Leistung sachfremd ausgegeben und deshalb muss mir sofort die Grundsicherung auch rückwirkend entzogen werden. Es macht demütig sich so zu offenbaren. Insbesondere weil ich es überhaupt nicht gewohnt bin. Ich staune.

Wir kleinen Selbstständigen und Solo-Selbstständigen sind dem Kapitalismus auf ganz besonders hässliche Weise ausgesetzt. Wir sind immer Gebende. Immer Vorausleistende. Wir stellen alles zur Verfügung und können jederzeit, wie ein Stundenhotel am schlechten Standort storniert werden.
Gut, dass ich über eine sehr gute Widerstandskraft verfüge. Ich kann den Schock aushalten und analysieren. Ich kann vernetzen und mich vernetzt verhalten. Es tut sich ungemein viel, nur wirtschaftlich bin ich nicht gesichert! Weder ich noch mein Kind. Wie soll es mir gehen?

Ich mache nicht mit bei diesem Online-Schnick-Schnack-Beratungs-Tools! Der Markt ist unglaublich schnell und scharmfrei. Es gibt derzeit auf dem Markt wohl nur eine europäische datenschutzgesicherte Online-Plattform, die frei zugänglich ist für alle. Jitsi meet, ist das einzig was mir bekannt ist. Ich beobachte mit Entsetzen, wie scheinbar die ganze Welt, wie im Rausch, diese nicht dem europäischen Datenschutz entsprechenden Online-Dienste kostenfreien Dienste konsumiert und wie es möglich wird, dass die geheimnisvollsten Informationen plötzlich von amerikanischen, chinesischen, russischen und sonst wo ortsansässigen Konzernen geradezu abgesaugt werden. Ich ahne, dass all diese Informationen, die plötzlich überall ungeschützt genutzt werden können Unmengen an künstlicher Intelligenz füttern. Es ist unglaublich. Wie im Rausch konsumiert Deutschland Online-Dienste, die keinen persönlichen Datenschutz gewährleisten wollen.

Ich mache da nicht mit! Alle müssen auf mich warten, bis ich etwas Datenschutzgerechtes nutzen kann. Und ich frage mich, ob es künftig überhaupt noch möglich sein wird, dass ich Menschen in der personalen Gegenwart begegnen werde? Werden wir uns jemals wieder die Hand geben? Uns umarmen? Küssen und nahe beieinander lachen? Zwingt uns die Zukunft, dass wir z.B. künftige Jour Fixe in Videokonferenzen abhalten? Das wir Plattformen nutzen, in denen sich alle Teilnehmende in Avatare verwandeln dürfen und dann treffen wir uns in irgendeiner „Traumlandschaft“ oder ähnliches? Ist es das, was jetzt kommt? Ich grübele sehr viel und probiere vieles aus.

Um mich herum ist viel Chaos und Durcheinander. Für viele Menschen ist es die erste Wirtschaftskrise. Viele standen neulich noch wirklich gut da und jetzt droht der Bankrott. Manche verlieren die Kraft und viele sind mit diesen Antragsbedingungen für den Zuschuss überfordert. Die Möglichkeit jetzt Hartz4 zu beantragen ist mit viel Unsicherheit und auch Angst behaftet. Jede Falschbekundung kann mit einem Strafverfahren enden. Falschbekundung! Und täglich ändern sich die Informationen?

Es ist eigentlich keine Krise. Es ist ein Schock. Der Sturm ist nicht laut, rau und wild. Es ist, als würde mein Schiff in einem großen Meer stillstehen. Kein Wind, kalte Temperatur und es regnet. Manchmal besteht noch Funkkontakt. In der Regel ist es totenstill. Das Schiff schaukelt oder es steht ganz still.

Die Künstler*innen haben einen schönen Beitrag verfasst, wie es in ihrer Branche aussieht. Diesen wage ich zur Verfügung zu stellen: Was macht Corona mit dem Kulturbetrieb?

Behaltet Euch gesund und tonnenweise Widerstandskraft! Tschüss, ich hoffe bis bald in einer echten Begegnung.

S.B. ist Solo-Selbständige aus Hamburg (Training und Beratung für die Kolleg*innen und auch für Gewerkschaften).