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Wichtig ist die Aufstockung der unteren Lohngruppen! … und ich mache mir Gedanken über die Corona-Krise

H., VW-Kollege, (Niedersachsen)

Ich bin seit Wochen in Kurzarbeit und genieße das Leben und den Klimawandel. Ich habe jede Menge zu tun und schaffe endlich viele Arbeiten am und im Haus. Täglich gehe ich mit dem Kajak auf den Fluß und fahre Fahrrad, halte einen Klönsnack mit den Nachbarn und lese viel. Und das alles bei 95% meines Lohnes. Die erste Woche musste ich gemäß den Kurzarbeitsgeldregeln erst mal Überstunden entnehmen. In den Lohnbereichen der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie läßt sich damit ganz gut leben. Das Problem liegt eindeutig in den Bereichen, in denen der Lohn eh schon nicht zum Leben reicht.

Aber in vielen Dingen muss ich natürlich die Einschätzung von H.S. teilen. Bei meinen Kolleg*innen gab es kurz vor der Schließung keine Stimmung unter den Leuten, die Verständnis für diese Schließung hatte. Im Normalfall kommen viele Kolleginnen und Kollegen noch mit Fieber, Gliederschmerzen und Schnupfen zur Arbeit. Dies liegt einerseits in einer tatsächlich unbegründeten Angst vor Repressionen (es sei denn, Du bist wirklich sehr oft krank) zum anderen aber auch oftmals daran, das die Leute dermaßen geldgierig sind, dass sie ungern in der Nachtschicht auf die Überstunden und den Steueranteil der Zuschläge verzichten. Einen Streik zum Wohle der Gesundheit halte ich mit meinen KollegInnen für völlig unrealistisch.

Ich persönlich halte die jetzigen Maßnahmen aber auch für völlig überzogen. Den Link, den M. vor einer Woche gesendet hat, mit der allgemein gesunkenen Mortalitätsrate finde ich tatsächlich realistisch. Als ich meinen 15 monatigen Zivildienst im Altenheim verbracht habe, sind von den gut 100 Bewohnern 53 gestorben. Menschen, die ohne jede Lebenskraft vor sich hin vegetieren sterben an solchen Infektionen wie die Fliegen. Dabei sterben sie nicht unbedingt an der Lungenentzündung, sondern es reicht der leichte Angriff eines Virus auf den Körper. Da ist einfach keine Power mehr. Wenn diese Menschen an einer „normalen“ Grippe sterben, wird niemand auf die Idee kommen sie nachträglich auf einen Virus zu untersuchen. Herzstillstand wird zu 90% die Diagnose sein. Niemand stirbt am Alter. Den zweiten Teil aus dem Video von M., über die „Euthanasie“ in französischen Heimen halte ich wiederum für echten Schwachsinn. Natürlich ist es so, dass so ein Heim im Normalfall höchstens zwei Sauerstoffflaschen hat. Wenn jemand seit Jahren im Bett liegt und vor sich hinsiecht, wird so ein Virus sehr schnell sehr tödlich. Wenn sich aber eine Lungenentzündung entwickelt, ist es aber völlig normal, Schlafmittel und Opiate zu geben, um die Schmerzen zu lindern. Der Tod einer Lungenentzündung ähnelt wie gesagt einem Ertrinken. Wenn ich hier keine Medikamente gebe, würde ich das als Quälerei benennen.

Nichtsdestotrotz glaube ich, dass es sinnvoll wäre, z.B. die Schulen und Kitas viel normaler laufen zu lassen. Nur wenn sich viele Kinder infizieren, läßt sich ein „Normalzustand“ erreichen. Solange gesagt wird, dass die Kinder nicht zu Oma und Opa dürfen, sollten die Kinder krank werden dürfen. Wenn sie nicht krank werden, dürfen sie natürlich auch weiterhin nicht zu Oma und Opa. Wie lange wollen wir denälteren Menschen das antun? Es klingt hart, wenn man sagt, dass kranke und „alte“ Menschen besonders geschützt werden müssen. Das trifft dich natürlich genauso wie Millionen andere. Aber so lange ich nicht krank geworden bin, bin ich eine Gefahr für dich und sollte mich mit dir nicht treffen. 1 Jahr, 2 Jahre? Die Altenheime abzuriegeln ist unglaublich hart und führt zu einem schnelleren Sterben der Menschen, weil sie Lebensfreude verlieren. Siehe hierzu auch die aktuelle Stellungnahme der Diakonie.

Ohne Zweifel werden auch Menschen meines Alters sterben, aber doch in einem verschwindend geringem Ausmaß. Wenn im Grippejahr 2017/18 alle Toten auf den Virus getestet worden wären und die Zahlen jeden Tag in der Titelzeile der Zeitung gestanden hätten, wäre schon längst eine absolute Panik ausgebrochen. Allein wenn die Zeitungen jeden Tag die Zahl der Krebstoten auf Seite eins vermelden würden, hätten wir eine unfassbar hohe Anzahl an Menschen mit Angststörungen. 1980 rund 193.000 Todesfälle, 2014 etwa 224.000. Die Schlagzeile würde lauten:
„Wieder über 600 Menschen an Krebs gestorben“ und das jeden Tag.

Das alles darf aber natürlich nicht dazu führen, dass keine sinnvolle Kritik am Gesundheitswesen formuliert wird. Das eine ist natürlich die Ausrüstung mit Intensivbetten. Aber der Grundsatz ist und bleibt die Menge des Personals. Es wird immer wieder Krankheiten geben, wo spezielle Dinge in Krankenhäusern fehlen. Was soll da alles auf Lager liegen? Die Beatmungsgeräte, die jetzt gebaut und gebraucht werden, werden danach 20 Jahre im Regal liegen und müssten doch regelmäßig gewartet werden.

Wichtig finde ich viel eher die Erkenntnis, dass die Krankenhäuser pleite gehen, weil sie die geplanten Operationen nicht durchführen. Hier wird noch einmal deutlich, dass die Häuser operieren um sich zu finanzieren und nicht um Menschen zu helfen. Gleichzeitig führt das Absagen vieler OP´s natürlich zu einer geringeren Sterberate. Operationen sind insbesondere für kranke und ältere Menschen immer auch lebensgefährlich. Das soll natürlich nicht heißen, das all die OP`s unnötig sind. Aber es ist definitiv so, das sich viele Leiden auch anders beheben ließen, als mit OP’s.

Hier muss die Grundkritik ansetzen. Wir brauchen mehr medizinisches und Pflegepersonal, welches großzügig finanziert werden muss, ohne das sie sich rentieren müssen.

Gleichzeitig finde ich in der jetzigen Situation aber sehr gut erkennbar, dass die Verschwörungstheorien dort unhaltbar sind. Das Video, das von dem Berliner Ökonomen rumgeschickt wurde, halte ich in vielen Punkten für echten Schwachsinn. Natürlich profitieren die Kraken wie Amazon und Google von der jetzigen Situation und versuchen sie auszunutzen. Selbstverständlich gab es auch vor der Coronakrise eine absolute Überproduktion in der Autoindustrie und natürlich versuchen auch diese jetzt eine neue Abwrackprämie ins Gespräch zu bringen. Das wäre ökologischer Wahnsinn und dies gilt es unbedingt zu verhindern. Aber zu behaupten, dass irgendjemand den shutdown mit Absicht vorangetrieben hat, damit sich die Zahlen bereinigen, halte ich echt für unglaublichen Unsinn.

Da Volkswagen riesige Probleme hat, den Golf 8 und den ID3 auf die Straße zu kriegen (beide sind seit fast einem Jahr überfällig) kommt ihnen die Pause recht und die ganzen Forschungs- und Entwicklungsbereiche arbeiten in Wolfsburg unter Volldampf weiter.

Dabei sind die Schichten entzerrt, so dass Früh- und Spätschicht nicht zusammen treffen. Die Arbeiter arbeiten 6h am Tag und bekommen 7,5 bezahlt. Aber insgesamt kostet den Konzern die ganze Situation unglaublich viel und das Management würde lieber heute als morgen wieder ans Netz gehen. Hat also Amazon mehr Einfluss auf die Bundesregierung als Volkswagen, Mercedes und BMW zusammen? Watt nen Unsinn. Der Schaden den große Teile der Wirtschaft nehmen, ist dermaßen immens, dass es wahrlich abenteuerlich ist, zu behaupten, es gäbe irgendwelche Leute bei der WHO die mit Absicht den Shutdown provozieren.

Ich denke, die Politik steht mit dem Rücken an der Wand. Niemand will öffentlich für Tote verantwortlich gemacht werden auch wenn das in vielen Stellen unsinnig wäre. Verantwortlich ist die deutsche Politik mit Sicherheit für die ruinierten Gesundheitsysteme in Italien und Spanien und in diesem Sinne auch für etliche Tote, aber das wirft ihnen ja leider keiner vor. Hier wird der Arsch an die Wand gebracht, auch auf Kosten der Wirtschaft.

Liebe Grüße aus dem kleinen Paradies

H.