unter_bau an Überbau – Protest gegen »business as usual« an Hochschulen
In: express 03/2020
Auch die Hochschulen sind (schon lange) kein Ort rein geistiger Tätigkeit, der freien, über den Dingen schwebenden Intellektualität (mehr) – und je nach didaktischem Gusto galten »E-Learning«, digitale »Klassenzimmer« und Vorlesungen per Life-Stream als innovatives Format der Zukunft – zumindest aber waren sie bislang eine gute Verpackung für digitale Ausweichmanöver angesichts zu dünner Personaldecken. In vielen Bundesländern soll der Semesterbetrieb möglichst störungsfrei weiterlaufen, nur eben im körperlosen Raum der E-Learning-Welt. Während Lehrende hektisch versuchen, business as usual im Online-Chat mit ihren Studierenden zu erproben, ist festzuhalten, dass auch Hochschulen Arbeitsstätten, Betriebe, Unternehmen sind und dass auch die virtuelle Welt ganz banale physische Voraussetzungen hat, u.a. arbeitende Menschen. Wir dokumentieren mit dem folgenden Text vom 13. März einen der ersten Kommentare zu den Auswirkungen der Corona-Krise an den Hochschulen – und die Forderungen, die den Kolleg*innen von »unter_bau« an der Goethe-Uni in Frankfurt a.M. dazu eingefallen sind.
Um die Verbreitung des Corona-Virus (SARS-CoV-2) zu verlangsamen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, werden in Deutschland und anderen Ländern derzeit Großveranstaltungen abgesagt und öffentliche Einrichtungen, an denen viele Menschen zusammenkommen, geschlossen. Das betrifft auch Universitäten – in vielen Bundesländern wurde bereits die Einstellung der Präsenzlehre und die Verschiebung des Semesterstarts beschlossen.
Die Hessische Landesregierung verhält sich bisher zögerlich. Zwar wurde die Schließung von Kitas und Schulen veranlasst und der Semesterstart an Hochschulen um eine Woche verschoben, doch bleibt unklar, ob weitere Maßnahmen folgen werden. Sollte die Goethe-Universität Frankfurt (GU) geschlossen oder der Semesterstart weiter verschoben werden, sieht unter_bau das Präsidium der GU in der Verantwortung sicherzustellen, dass daraus keine Nachteile für ihre Mitglieder und extern Beschäftigte entstehen.
Folgende Forderungen gilt es zu erfüllen:
1. Drittmittelabhängige: Nicht alle Angehörigen der Universität können sich im Krankheits- oder Quarantänefall auf eine Lohnfortzahlung verlassen, was prinzipiell ein Skandal ist. Gerade Drittmittelabhängige, deren Projektförderungen davon abhängig sind, dass zu bestimmten Fristen Ergebnisse vorliegen müssen, stehen unter besonderem Druck.
unter_bau fordert daher, dass die Universität sich bei allen Geldgebern für eine entsprechende Verlängerung der Förderungen einsetzt und ggf. finanzielle Ausgleichszahlungen an betroffene MitarbeiterInnen tätigt.
2. Honorarverträge: Unsicherheit besteht auch bei Honorarverträgen, etwa bei Lehraufträgen.
unter_bau fordert daher, dass Lehraufträge auf Honorarbasis in jedem Fall bezahlt werden, auch wenn die Lehre nicht oder nur eingeschränkt stattfinden sollte.
3. Wissenschaftszeitvertragsgesetz: Befristet Beschäftigte im wissenschaftlichen Mittelbau befürchten Verzögerungen im Forschungsablauf aufgrund einer möglichen Einschränkung des Universitätsbetriebs, die Konsequenzen für ihre Befristungshöchstdauer aufgrund des WissZeitVG haben könnten.
unter_bau fordert daher, dass die Zeit des eingeschränkten Universitätsbetriebs nicht auf die Befristungsdauer nach WissZeitVG angerechnet wird. Insbesondere für Menschen im sechsten, d.h. letzten Jahr der Befristungszeit muss eine schnelle und unkomplizierte Verlängerung ermöglicht werden.
4. eLearning: Sollte die Goethe-Universität von ihrem Lehrpersonal die Umstellung auf eLearning-Programme fordern, bedeutet dies einen erheblichen Mehraufwand in der Lehrvorbereitung.
unter_bau fordert, dass zusätzlich anfallende Arbeit durch Digitalisierungsmaßnahmen entsprechend entlohnt wird.
5. Lohnfortzahlung bei extern Beschäftigten: Die Sorge vor Lohnausfällen besteht vor allem bei Personen, die nicht direkt an der Goethe-Universität beschäftigt, aber dennoch von ihren Entscheidungen betroffen sind: namentlich solche, die über externe Dienstleistungsfirmen bzw. weitere Subunternehmen an der Universität z.B. als Reinigungs- und Sicherheitskräfte arbeiten.
unter_bau fordert daher, dass die Universität die Lohnfortzahlung dieser Menschen sicherstellt, indem sie die Unternehmen, mit denen sie Verträge abgeschlossen hat, darauf verpflichtet, die Lohnfortzahlung auch im Fall einer Weitergabe der Aufträge an Subunternehmen zu gewährleisten.
6. Studierende: Viele Studierende haben im Falle einer Schließung keinen oder eingeschränkten Zugang zu Lernplätzen und -materialien.
unter_bau fordert daher die Aussetzung von Prüfungsfristen und eine Anpassung der Bafög-Anforderungen. Sollte aufgrund von ausgefallenen oder verschobenen Prüfungen eine Verlängerung der Studienzeit wahrscheinlich sein, muss die Regelstudienzeit um ein Semester erhöht werden.
7. Praktisches Jahr: Medizin-Studierende im Praktischen Jahr (PJ) können derzeit vermehrt ihre Dienste im Krankenhaus nicht oder nur eingeschränkt erfüllen.
unter_bau fordert daher, dass Medizin-Studierenden im PJ für Ausfälle aufgrund der Corona-Pandemie keine Fehlzeiten angerechnet werden. Prüfungstermine müssen neu angepasst und ggf. die Regelstudienzeit um ein Semester erhöht werden. Medizin-Studierenden, deren Blockpraktika abgesagt werden, muss freigestellt werden, ob sie diese nachholen wollen oder nicht.
8. Kinderbetreuung: Bereits jetzt sind Hochschulangehörige mit Kindern besonders belastet, da Kitas und Schulen geschlossen werden.
unter_bau fordert daher, dass Menschen mit Sorgeaufgaben ohne bürokratischen Aufwand von der Präsenzpflicht am Arbeits- bzw. Studienplatz befreit und ihnen Möglichkeiten des Home Office so weit wie möglich erleichtert werden. Die Betreuung von Kindern aufgrund von Kita- und Schulschließungen darf nicht über unbezahlten oder regulären Urlaub geregelt werden. Insbesondere für die Kinderbetreuung von Ärztinnen und Ärzten am Universitätsklinikum müssen Lösungen gefunden werden, damit diese weiterarbeiten können, wenn sie wollen.
9. Hygienemaßnahmen: Solange die Universität geöffnet hat, stellt sie einen Ort dar, an dem sich das Coronavirus schnell verbreiten kann.
unter_bau fordert daher verstärkte Hygienemaßnahmen. Die GU muss ihrer Schutzpflicht nachkommen, indem sie mit einem Sofortprogramm in allen sanitären Einrichtungen für Warmwasser, Desinfektionsmittel, Seife etc. sorgt.
Kontakt: Anna Wunderlich, presse@unterbau.org, www.unterbau.org