Ein Gespräch über die Konsequenzen der Kapitalisierung im Krankenhaus
Aus: express 03/2020
Anfang Oktober 2019, kurz vor den thüringischen Landtagswahlen, wurden am Uniklinikum Jena (UKJ) Verhandlungen über einen Tarifvertrag Entlastung – also über verbindliche Personalvorgaben – geführt. Zur Mobilisierung und zur Demokratisierung der Verhandlungsführung haben die aktiven Beschäftigten mit Unterstützung eines Organizing-Teams das Modell der Teamdelegierten entwickelt. Auf diese Struktur können sie jetzt, in Erwartung der Corona-Krise, zurückgreifen. Der Koordinierungskreis der Teamdelegierten hat einen Offenen Brief verfasst, um aus Sicht der Beschäftigten klarzustellen, was vonnöten ist, um die Infektionswelle zu überstehen. Dazu gibt Ellen Ost*, selbst Mitglied des KoKreises, im Interview Auskunft.
Spürt Ihr schon konkrete Auswirkungen der Corona-Ausbreitung? Werden in Eurer Klinik schon Covid 19-PatientInnen behandelt?
Mit Stand gestern (17. März 2020, d. Red.) gibt es noch keine Corona-Erkrankten am UKJ in stationärer Behandlung, aber Verdachtsfälle. Die Tests dauern und auch in unserem Labor gibt es begrenzte Kapazitäten, alle geben ihr Bestes, damit die Ergebnisse schnellstmöglich vorliegen. Es gibt aber positiv getestete MitarbeiterInnen, welche zu Hause unter Quarantäne stehen.
Ihr
hattet am vergangenen Wochenende ein Treffen der Teamdelegierten und
habt
entschieden, erneut an die Öffentlichkeit zu gehen…
Es gab kein Teamdelegiertentreffen, aber der KoKreis der Teamdelegierten hat sich getroffen und entschieden, einen offenen Brief zu verfassen. Der KoKreis wurde von den Teamdelegierten gewählt und sieht seine Aufgabe in der Aufrechterhaltung von Strukturen und darin, Schnittstelle zwischen Personal und Entlastungskommission, Ansprechpartner für Fragen und Probleme und Organisator zu sein. Das Treffen war eigentlich dazu gedacht, über den Inhalt des TV-E zu sprechen, auf was bei der Umsetzung zu achten ist usw. Aus aktuellem Anlass haben wir uns eine andere Tagesordnung gegeben, da wir mit den Kommunikationsstrukturen von Seiten der Klinikleitung unzufrieden waren und glauben, dass nur ein gemeinsames Handeln aller im Krankenhaus tätigen Menschen uns die Möglichkeit gibt, diese Pandemie zu bewältigen. Dazu braucht es auch die Expertise von Menschen, die an der Basis arbeiten.
Spielen die Regeln für Personalbemessung, die Ihr in dem Tarifvertrag vereinbart habt, im Moment noch eine Rolle? Jens Spahn hat bereits die zweifelhaften Personaluntergrenzen vorübergehend ausgesetzt, aber wie ist das mit den Regeln, die nur bei Euch im Haus gelten?
Unser TV-E sollte am 1. April 2020 »scharf« gestellt werden. Ab da sollte die Personalratio für jeden Bereich gelten und es können Belastungspunkte generiert werden. Im Moment gehen wir davon aus, dass der Termin bestehen bleibt, da der Klinikumsvorstand noch nicht an uns herangetreten ist und um eine Aussetzung gebeten hat.
Zu den Berichten über Euren Tarifkampf vor einigen Monaten gehört auch, dass Ihr Verantwortliche aus der Landespolitik eingeladen habt, um ihnen hinter verschlossener Tür von lebensgefährdenden Überlastungssituationen zu berichten, die sich aus dem chronischen Personalmangel ergeben – verbunden mit der Drohung, diese Geschichten pressewirksam zu veröffentlichen, wenn sich die Situation nicht verbessert. Das scheint damals, im Vorfeld der Landtagswahlen, sehr große Wirkung gezeigt zu haben. Heute drängt sich natürlich die Frage auf: Wenn der Normalbetrieb Menschenleben gefährdet, was erwartet uns dann auf dem Höhepunkt der Corona-Infektionswelle? Welche Schritte können kurzfristig unternommen werden, um die Strukturen im Krankenhaus besser vorzubereiten?
In unserem offenen Brief haben wir einige Forderungen aufgestellt, zum Beispiel, dass alle elektiven, also wähl- und planbaren, nicht zwingend notwendigen Eingriffe und Ambulanztermine so weit wie möglich runtergefahren werden. Der Hintergrund davon ist, dass dann Personal zum Beispiel aus den OPs frei wird, das in anderen Bereichen eingesetzt werden kann, also Narkoseärzte und -schwestern/-pfleger auf der Intensivstation, OP-Schwestern/-Pfleger auf anderen Stationen. Das Aussetzen ist jetzt so wichtig, da wir jetzt noch Zeit haben, diese KollegInnen einzuarbeiten, denn im OP stehen andere Beatmungsmaschinen als auf der Intensivstation.
Eine weitere Forderung ist, dass es eine transparente Kommunikation am Klinikum gibt, mit klaren Regeln und Anweisungen und der Einrichtung einer Notfallnummer für das Personal. Hier haben wir einen Erfolg erzielt.
Zu den Erwartungen, die Ihr formuliert, gehört auch die Mitsprache der Beschäftigten im Krisenstab. Warum ist das wichtig?
Für uns war es auch zentral, dass in den Krisenstab Menschen von der Basis kommen. Pflegende wissen sehr gut, was es braucht, um eine Station am Laufen zu halten, da sind sie die klaren ExpertInnen. Auch diese Forderung ist bereits umgesetzt.
Unser Brief war nicht nur an den Klinikumsvorstand, sondern auch an die Landes- und Bundespolitik gerichtet. Wir hatten natürlich am Wochenende auch Kontakt zu Politikern der Landesregierung. Es ist wichtig, dass die Politik Informationen aus der Basis erhält. Das haben wir im Tarifkampf für Entlastung erfahren. Denn diese Informationen sind sehr oft andere als von offizieller Seite, und es übt einen gewissen Druck auf den Vorstand aus, die Vorgaben der Politik auch umzusetzen.
Weit oben auf Eurer Liste steht auch die Kinderbetreuung. Gibt es schon Signale, dass sie zufriedenstellend organisiert wird?
Da ich selbst erwachsene Kinder habe, kann ich das nicht hundertprozentig beurteilen. Auch da gab es am Wochenende ein Telefonat, und wir haben auf mögliche Probleme aufmerksam gemacht. Mir ist im Moment nicht bekannt, dass es Probleme bei der Kinderbetreuung von Personal gab oder gibt.
Neben Personalmangel sprecht Ihr in Eurem Schreiben auch die Just-in-time-Versorgung mit Schutzausrüstung und Verbrauchsmaterialien an. Wie hat sich die Materialversorgung in den letzten Jahren geändert? Wie sieht sie aktuell aus?
Just-in-Time-Versorgung heißt: Es wird nur das produziert und geliefert, was gerade benötigt wird. Der Hintergrund ist natürlich auch ökonomischer Art. Das Problem ist, wenn wir jetzt in einer Pandemie sehr schnell sehr viel Material brauchen, muss erst die Produktion entsprechend hochgefahren werden. Das dauert, und diese Zeit haben wir nicht. Für bestimmte Produkte, wie zum Beispiel Schutzausrüstung, welche jetzt um ein Vielfaches mehr benötigt wird, braucht es einen Vorrat, der die Versorgung über einige Wochen garantiert. Das gilt auch für Medikamente und andere Verbrauchsmaterialien.
Du bist ja auch aktiv im »Bündnis Krankenhaus statt Fabrik«, das sich für die Abschaffung der Krankenhausfinanzierung über Fallpauschalen/DRG einsetzt. Das Bündnis hat in einer Pressemitteilung bereits darauf hingewiesen, dass die Ökonomisierung der Krankenhauslandschaft sich nicht verträgt mit einer sorgfältig geplanten Vorsorge für Ausnahmesituationen. Siehst Du das auch so? Fallen uns jetzt frühere Fehlentscheidungen in der Krankenhausfinanzierung mit voller Wucht auf die Füße?
Die Krankenhausfinanzierung beruht darauf, dass nur erbrachte Leistungen vergütet werden. Dadurch gibt es keinen Spielraum für das Vorhalten von Ressourcen, die wir jetzt dringen bräuchten. Schon in der Grippezeit fällt uns das immer wieder auf die Füße. Jetzt zeigt sich, dass dieses System nicht taugt, eine Krise zu bewältigen, in der keine elektiven Behandlungen mehr möglich sind und Krankenhäusern die Einnahmen wegbrechen. Wir brauchen eine Finanzierung, die sich am Bedarf der Menschen orientiert, die der Aufgabe der Daseinsvorsorge gerecht wird und damit der Bewältigung von Krisen jeder Art.
In Jena hat sich, wie in vielen anderen Städten auch, ein Solidaritätsbündnis für mehr Personal im Krankenhaus gebildet, um den Kampf der Beschäftigten zu unterstützen. Was können solche Bündnisse jetzt sinnvoll tun – auch wenn Treffen und Versammlungen aktuell nicht stattfinden?
Unser Bündnis »Mehr Personal für unser UKJ« hat Mitstreiter aus verschiedensten Bereichen. Im Moment geht es darum, die Kommunikation untereinander aufrecht zu erhalten, Informationen breit zu streuen und die Möglichkeit zu haben, schnell zu organisieren, Hilfsangebote wie z.B. Nachbarschaftshilfen zu vermitteln, MedizinstudentInnen zu erreichen und Kontakte in andere Institutionen zu nutzen.
Hast Du einen Ratschlag für KollegInnen, die in Häusern arbeiten, die (noch) nicht so gut organisiert sind?
Ich glaube, wichtig in dieser Zeit ist, dass wir diese Krise nur gemeinsam bewältigen werden! Alle Berufsgruppen im Krankenhaus müssen solidarisch zusammenstehen, über alle Ebenen hinweg. Es braucht eine ehrliche und offenen Kommunikation, klare Anweisungen und Absprachen. Es ist wichtig, sich zusammenzuschließen und das einzufordern.
Ich habe gerade die Nachricht erhalten, dass die Linksfraktion die Forderungen aus unserem offenen Brief im Maßnahmenkatalog berücksichtigen wird und der Landesregierung vorschlagen wird.
Vielen herzlichen Dank – und alles Gute für die nächste Zeit!
* Ellen Ost ist Fachkrankenschwester und seit Beginn ihrer Ausbildung 1984 am Uniklinikum in Jena. Sie ist Mitglied des KoKreises der Teamdelegierten am UKJ, des Bündnisses »Mehr Personal für unser UKJ« sowie bei ver.di und der Partei DIE LINKE.
Interview: Stefan Schoppengerd
express im Netz unter: www.express-afp.info