Sina (Ladenbau) und Viola (Veranstaltungskauffrau)
Protokolle: Carina Book
Man weiß inzwischen eine Menge darüber, wie und wo man sich mit Corona infizieren kann. Nur über einen großen Bereich des Lebens herrscht Schweigen, und Daten sind so gut wie keine zu finden: die Arbeitswelt. Wir haben uns deshalb umgehört; in der Reihe »Corona bei der Arbeit« dokumentiert die analyse und kritik kurze Berichte und Stimmen aus dem Arbeitsalltag unter Corona. Wenn ihr auch über eure Erfahrungen berichten wollt, schreibt an die Redaktion: redaktion@akweb.de
Sina*, 39 Jahre, Projektleiterin im Ladenbau:
Ich arbeite bei einer Firma, die den Ladenausbau für Geschäfte macht. Wir haben häufig Aufträge in verschiedenen Ländern in Europa, das heißt wir müssen ziemlich viel reisen. Das hat sich auch während der Pandemie nicht geändert. Es gab keine Unterbrechung. Die Baustellen mussten laufen, es sei denn, der Kunde hat zum Beispiel wegen der Pandemie die Expansion eingestellt und will erstmal keine neuen Ladenflächen mehr.
Wir sind zwar im März für eine Weile ins Homeoffice gewechselt, aber auf die Baustellen mussten wir trotzdem fahren. Statt Zugticket gab es dann einen Mietwagen, und unsere Chefs haben uns alibimäßig ein »Safety-Kit« mitgegeben. Darin befand sich genau eine Maske und ein bisschen desinfizierendes Handgel. Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Andere Ansagen gab es auch nicht, so dass ich eigentlich immer selbst überlegen musste, wie ich mich sinnvoll verhalte. Ich habe mich die ganze Zeit über immer unsicher gefühlt, schließlich steht man da mit verschiedenen Handwerkern aus unterschiedlichen Städten und Ländern zusammen auf der Baustelle.
Ein echte Pause, so wie es der Zero-Covid-Aufruf fordert, wäre bei uns eigentlich ohne Weiteres möglich. Wir sind ja kein Betrieb in dem Lebensmittel verarbeitet werden. Der Trockenbau wird nicht schlecht, wenn man ihn stehen lässt. Davon wollen die Chefs aber nichts wissen. Letztlich ist das eine Privilegienspirale: Die Chefs entscheiden einfach, dass die Gesundheit der Handwerker gefährdet wird, wenn sie für drei Wochen ins Risikogebiet nach Kopenhagen geschickt werden. Da können sie noch so viele Spender für Handdesinfektionsmittel hinstellen: Auf diesen Baustellen wird das nichts mit Abstandhalten und die ganze Zeit Maske tragen. Das ist nicht anders als in vielen anderen Produktionsstätten auch. Ich denke an Paketdienstleister oder Schlachtereibetriebe. Da weiß man auch, dass die Arbeitsbedingungen problematisch sind, aber ändert einfach nichts daran. Stattdessen wird die ganze Zeit auf die Eigenverantwortung gepocht. Klar, privat habe ich mich natürlich eigenverantwortlich komplett eingeschränkt und niemanden mehr getroffen. Aber ehrlich gesagt: Egal wie eigenverantwortlich ich bin, es bringt gar nichts, wenn mein Arbeitgeber unverantwortlich ist.
Zwei Beispiele: Ich sollte kurz vor Weihnachten zu einem völlig unwichtigen Termin quer durch die Republik fahren. Das kam mir so unsinnig vor, und ich wollte mich dem nicht aussetzen. Dann habe ich einfach gelogen und gesagt, meine Corona-App wäre rot, und habe meine Teilnahme an dem Termin abgesagt. Mein Chef hat daraufhin klar gemacht, dass eine rote Corona-Warnung auf der App zu ungenau sei und kein Grund, sich zu isolieren. Das würde immer noch er entscheiden. Zugegeben, meine App war ja nicht mal rot, aber wenn sie rot gewesen wäre, wäre es doch unverantwortlich gewesen, dahin zu fahren. Das andere Beispiel: Ich sollte zu einer Baustelle im Ausland fahren, und es war nicht klar, ob ich danach erstmal eine Woche in Quarantäne muss, wenn ich wieder nach Deutschland einreise. Mein Chef sagte dazu nur: Naja, dann gehst du halt eine Woche ins Homeoffice. Dann habe ich ihm gesagt, dass Quarantäne wirklich kein Spaß ist und etwas anderes als Homeoffice und dass ich mich schon frage, ob das nötig ist, mir das für einen Baustellenbesuch aufzubürden. Er fand schon. Inzwischen habe ich gekündigt.
* Name geändert
Viola, 28 Jahre, Veranstaltungskauffrau:
Ganz ehrlich, ich kann einfach nicht mehr Kontakteinschränkungen machen als die letzten Monate. Die ganze Debatte darum, wie viel Kontakt ich noch zu Menschen habe, geht mir auch deshalb auf den Keks, weil ich mir vorkomme wie in einer endlosen Pseudo-Nachhaltigkeitsdebatte: Ich soll keinen Plastikstrohhalm benutzen, was ja auch völlig okay ist, aber die Regierung fördert Diesel-Schleudern. Man kämpft so allein auf einem unsichtbaren Posten, wenn man sich zu Hause einbunkert. Und dann ist es frustrierend zu sehen, dass das alles nichts zu bringen scheint, weil die meisten anderen weiter zur Arbeit gehen müssen.
Ich habe während der Pandemie meine Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau abgeschlossen und bin sogar übernommen worden − trotz Corona. Ich bin bei einer Firma, die Festivals organisiert und arbeite dort in der Bühnenproduktion. Uns ist schon zu Beginn der Corona-Pandemie freigestellt worden, ob wir ins Büro kommen wollen oder lieber im Homeoffice arbeiten. De facto arbeite ich also schon fast ein Jahr von zu Hause aus. Die meisten meiner Kolleginnen, sind sofort auf null Prozent Kurzarbeit geschickt worden. Im Moment arbeiten wir fast gar nicht, denn es gibt ja so gut wie nichts zu tun für uns.
Wirtschaftlich ist das alles nicht so einfach, aber unsere Fundraising-Abteilung hat wahnsinnig viele Anträge für Fördergelder geschrieben. Auch wenn die kleinen Veranstaltungen, die wir im Sommer machen konnten, eher ein Minusgeschäft waren, macht es für die Firma keinen Sinn, die Beschäftigten einfach vor die Tür zu setzen: Ohne fitte Leute, die wissen, wie der Laden läuft, könnte der Betrieb nicht einfach so wieder hochgefahren werden, wenn sich das mit der Pandemie erledigt hat. Wir hoffen darauf, dass wir ab Sommer wieder zumindest kleine Veranstaltungen machen können. Entschieden ist das noch nicht. Klar, bei den Zahlen.
Den Zero-Covid-Aufruf finde ich gerade deswegen gut, weil er radikal ist. Aufhebung des Patentrechts, Umverteilung von Gewinnen in der Pandemie, das ist fast revolutionär. Ich finde auch spannend, wie breit das geteilt wird: Mein ganzes Instagram ist voll davon, weil alle möglichen Influenzer*innen den Aufruf teilen. Das Einzige ist: Der Aufruf ist sehr pauschal. Das ist vielleicht auch gut so, denn ein Aufruf funktioniert wahrscheinlich nur so, aber wir Kulturschaffende tauchen darin nicht so richtig auf. Ich habe den Eindruck, dass wir an ganz vielen Stellen vergessen werden, und deswegen wäre mir wichtig, dass festgehalten wird, dass die Kulturschaffenden wirklich krass unter der Pandemie leiden. Und das sage ich nicht nur für mich: Kolleg*innen, die selbstständig sind und auch Künstler*innen sind ganz anders betroffen als ich mit meiner Festanstellung. Damit sie Hartz 4 bekommen, sollen sie erstmal ihr Erspartes aufbrauchen. Und tatsächlich schämen sich die meisten auch dafür, zum Amt zu müssen. Manche rechtfertigen sich sogar und betonen, dass sie wirklich nicht faul wären. Da merkt man, dass in der öffentlichen Debatte der vergangenen Jahre viel dafür getan wurde, dass sich die Leute für Hartz 4 schämen. Das kratzt alles stark am Selbstbewusstsein. Und an den Nerven.
Natürlich bin ich bereit, auf soziale Kontakte zu verzichten, aber es braucht entweder ein Zeichen von oben oder ein Zeichen von der Straße, dass sich jetzt was ändern muss. Im Moment habe ich das Gefühl, dass weder das eine noch das andere da ist. Und das ist es, was mich ohnmächtig macht − fast sogar apolitisch, was ich von mir eigentlich gar nicht kenne.