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Corona@Holzhandwerk

Wie soll man in einer kleinen Schreinerei Abstandsregeln einhalten? Diese Frage stellen meine drei Kollegen und ich uns immer wieder, während wir dabei sind, sie zu ignorieren.

Ich arbeite in einer vierköpfigen Möbelschreinerei, ein Chef, ein Meister, eine Gesellin, ein Lehrling. Wir sind nur selten auf Montage, da wir meistens zwei bis vier Wochen brauchen, um ein Stück zu produzieren. Zwar ist jede Person mit ihrem eigenen Auftrag beschäftigt, aber klar, große Teile tragen wir zusammen. Wenn der Leim aufgetragen ist und es schnell gehen muss, sind schon mal drei Leute dabei, um die Zwingen am Korpus der Kommode anzusetzen. 100 Quadratmeter Werkstatt reichen nicht, um sich aus dem Weg zu gehen, wenn man ein 70 kg schweres Tischgestell auf eine Eichenplatte hievt.

Anfang März fing es an, dass sich die Arbeits- und Lebensrealitäten der Menschen in meinem Umfeld änderten. Manche arbeiteten mehr von zuhause, andere mussten Ausfälle und Planänderungen hinnehmen oder durchsetzen, neue Möglichkeiten erarbeiten und jeden Tag aufs Neue flexibel reagieren. Nur ich fuhr jeden Tag morgens um kurz vor acht mit dem Fahrrad durch die leere Stadt zur Arbeit. Während um mich herum Radios heiß liefen und sich Unsicherheiten und veränderte Routinen in Schlaflosigkeit verwandelten, stellte sich mein Chef einen Schritt weiter von mir weg, wenn er mir was erklärte. Falls er dran dachte… – sonst lief mein Leben ganz normal weiter.

Ende März kamen dann doch die Konsequenzen der Pandemie bei uns an. Aufträge wurden weniger, KundInnen sagten Montagetermine ab, um unnötigen Kontakt zu vermeiden. Einen kleinen Handwerksbetrieb wie uns trifft so was sofort. Der Chef ist allein im Büro und bereitet jeden Auftrag direkt für uns vor. Es gibt weder Stapel mit abzuarbeitenden Projekten noch finanzielle Rücklagen, um freigewordene Arbeitszeit z.B. in die Verbesserung unserer Lagerhaltung etc. zu investieren. So kam es dann, dass mir eine Woche im Voraus die Kurzarbeit angekündigt wurde.

Hätte man das besser kommunizieren können? Ja sicher, aber irgendwie waren wir alle auch froh. Es war ein komisches Gefühl gewesen, weiter zu machen wie bisher, während die Welt kopfsteht. Außerdem hatte jeder von uns schon ein bis zwei Projekte parat, die in der freigewordenen Zeit endlich umzusetzen wären. Mein Kollege plant seit Monaten seine eigene Küche zu bauen, unser Lehrling hat in fünf Wochen Prüfung. Regale und ein Hochbeet und wenn es klappt noch eine Kommode standen auf meiner To-do-Liste.

Obwohl mein Chef voraussagte, dass wir womöglich für längere Zeit gar nicht mehr arbeiten müssten, hatte ich noch eine Regalwand fertig zu bauen. Für mich hieß das also, weiterhin morgens in die Werkstatt durch die leeren Straßen fahren und dann zwei bis vier Stunden zu schleifen, zu lackieren oder hier und da noch ein Stück zu verleimen. Erst die dritte Aprilwoche war tatsächlich arbeitsfrei. Das Material für die Küche meines Kollegen stand bereit, der Azubi hatte seinen vierten Schubkasten gezinkt und ich war samstags in den letzten Zügen meines Hochbeetbaus. Das war dann auch der Moment, in dem mir Michael mitteilte, ich könne ab der nächsten Woche wieder voll arbeiten.

Das Gegenteil von dem, was er vermutet hatte, war geschehen. Plötzlich wollten alle neue Möbel oder neue Fenster haben. Auch die Montagetermine wurden wieder aufgenommen, die KundInnen waren ungeduldig geworden. Man könne ja eine Maske tragen.

Jetzt arbeiten wir also wieder normal. Die Platten für die Küche ins Lager geräumt, der Lehrling in der Schule und die Schlaflosigkeit, ausgelöst von der Willkürlichkeit des Seins, auch wieder am Start. Wenn wir zusammen im Auto sitzen, tragen wir jetzt Maske. Mein Chef steht wieder näher an mir dran, wenn er mir was erklärt. Wir alle wischen uns den Schweiß von der Stirn und fassen danach an den Kreissägetisch. Wir teilen unsere Keime und unsere Resignation. Was kommt, das kommt.