Seit Wochen sind die COVID-1 9-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen die vorherrschenden Themen. Andere Probleme scheint es nicht mehr zu geben. Für die Redaktion der Avanti²* Grund genug, mit KollegInnen aus Chemie-, Metall- und Speditionsunternehmen über die
aktuelle betriebliche Situation zu reden. Fortsetzung des Beitrags aus der Avanti 69/Mai 2020.
Wie verhalten sich Eure KollegInnen?
Heiko: Der Großteil meiner KollegInnen ist froh, nicht von Kurzarbeit oder Entlassung bedroht zu sein. Manche halten
die Corona-Krise für Panikmache und sehen sich selbst und ihre Familie nicht gefährdet. Diejenigen, die Verwandte
in Italien haben, sehen dies völlig anders. Manchmal führt dies zu heftigen Streitereien.
Clara: Bei uns spüre ich eher Unsicherheit und bei manchen Angst zu erkranken. Sie sind froh, wenn sie arbeiten können und weiterhin ihren Lohn erhalten. Aber sie können die Lage nicht einschätzen und fürchten, dass doch noch Kurzarbeit kommt.
Kevin: Meine KollegInnen arbeiten mit vollem Einsatz. Sicher, es gibt eine gewisse Corona-Furcht, aber die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust überwiegt. Das Unternehmen hat ja bereits mitgeteilt, dass Befristete oder erst kürzlich Eingestellte eventuell „gehen dürfen“. Zorn oderWiderstand wie in Italien sehe ich nicht.
Werden im Unternehmen „Optimierungs-Projekte“ und Verkaufsabsichten weiterverfolgt?
Kevin: Ja. Auch wenn im Betrieb vor allem über Infektionsschutz geredet wird, werden die „Optimierungsprojekte“ fortgeführt. Zum Teil im „Hintergrund“. Ich habe den Eindruck, dass jetzt erst recht versucht wird, Fakten zu schaffen und zwar ohne Einbeziehung des Betriebsrates.
Clara: Das sehe ich genauso. Und ich fürchte, wir werden Schwierigkeiten haben, das als Betriebsrat alles wieder „einzufangen“. Viele Maßnahmen wurden ja von der Unternehmensleitung ohne Betriebsrat verordnet. Ein gutes Beispiel ist das Homeoffice. Wir haben dafür noch keine betriebliche Vereinbarung, die die Arbeitsbedingungen und die Arbeitszeit regelt. Ich glaube, dass in der „Krise“ viele
Unternehmen versuchen, Regelungen aufzuweichen
oder dauerhaft zu umgehen.
Werden die Informations-, Beratungs- und Mitbestimmungsrechte des BR beachtet?
Clara: Das ist widersprüchlich. Einerseits gibt es seitens der Unternehmensleitung schon Informationen. Und es gibt auch Beratungen. Aber gleichzeitig werden immer wieder Entscheidungen – auch kurzfristig – getroffen, ohne dass der BR vorher gefragt wurde. Auch dort, wo wir „harte Mitbestimmung“ hätten. Andererseits nutzt die BR-Mehrheit sowieso nicht konsequent die bestehenden BR-Rechte. Sie ist sozialpartnerschaftlich und nicht widerständig. Das hat sich durch Corona ja nicht geändert.
Kevin: Es gibt regelmäßige Besprechungen, bei denen wir dabei sind. Aber wie gesagt, für die Chef-Etage ist ja schon die uns gesetzlich zustehende Mitbestimmung ein „rotes Tuch“. Insbesondere beim Arbeitsschutz. Die jetzige Taktik der Chefs ist nicht, unseren Einfluss zu verringern, sondern uns vor den Karren ihrer Corona-Maßnahmen zu spannen. Es gibt Betriebsräte, die dieses Spiel nicht erkennen und mit guten Absichten mitmachen. Ich bin dafür, zu kontrollieren und mitzubestimmen. Aber nicht, deren Entscheidungen mit
zu verantworten. Immer wenn es schwierig wird, wollen die uns als Befriedungsmittel nutzen. Ansonsten sollen wir den Mund halten und kuschen.
Heiko: Unsere Standortleitung und besonders die „kleinen“ Vorgesetzen sind von unsererMitbestimmung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz sowieso genervt. Darum wird von Unternehmensleitung und direkten Vorgesetzten schon versucht, ohne Einbeziehung des BR zu handeln. Einzelne
Vorgesetzte versuchen, nicht freigestellte BetriebsrätInnen unter Druck zu setzen oder ihre Entscheidungen unwidersprochen durchzudrücken.
Tom: Ich kann schon verstehen, dass unser BR von den vielen „kleinen“ Dingen, die vom Unternehmen – und auch von den
Auftraggebern – geändert werden, überfordert ist. Aber solange er nur verärgert zuschaut, nicht die Belegschaft mobilisiert und arbeitsrechtlich dagegen vorgeht, wird seine
Position weiter geschwächt. Natürlich wird ein Teil der Entscheidungen nicht nur von Corona getrieben, sondern vor allem von den Auftragsfirmen. Da nützt Dir manchmal auch die Mitbestimmung nichts. Wir bräuchten hier auch eine stärkere Zusammenarbeit mit den Betriebsräten der Auftragsgeber.
Das Gespräch fand Mitte April statt. Teil I wurde in Avanti²Nr. 69 vonMai 2020 veröffentlicht. Die Namen wurden zum Schutz der Teilnehmenden geändert. Die Fragen stellte U.D.