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Altenpflege – mehr Arbeit, weniger Personal

Gespräch mit einer Altenpflegerin. Aus: SoZ 5/2020.

Die vermehrten Todesfälle in Pflegeheimen haben die Situation in den Altenpflegeeinrichtungen ins Zentrum gerückt. Dort wohnen nicht nur Risikopatienten, es gibt auch immer wieder Kritik, dass dort Schutzmaßnahmen fehlen, und wie auch in anderen Bereichen mangelt es an Personal. Barbara L. (Name von der Redaktion geändert) arbeitet in einem kirchlichen Altenheim und sprach mit Violetta Bock über die Situation.

Wie viele Beschäftigte und BewohnerInnen sind bei euch?

Wir sind etwa 30 Beschäftigte und je 25 Bewohner auf zwei Etagen. Aber natürlich sind wir nie gleichzeitig da. Wir arbeiten in Schichten und kaum jemand in Vollzeit. Fast alle sind Teilzeitkräfte. Außerdem befindet sich nebenan das betreute Wohnen. Wenn dort irgendjemand klingelt, sind wir auch zuständig. Was gar nicht geht, ist die Nachschicht. Sie dauert von abends 20 Uhr bis morgens um 6 Uhr und man ist allein für beide Etagen und im Notfall auch für das betreute Wohnen zuständig. Fällt die Pflegeperson um, merkt das kein Mensch. Natürlich gibt es auch mal Leerlauf, wenn fast alle schlafen, aber meistens rennt man sich da ’nen Wolf. Das ist Wahnsinn. Die Bewohner müssen gelagert werden, etwa 60 Prozent der BewohnerInnen sind dement, das ist einfach ganz furchtbar.
In der Tagschicht sind wir ungefähr drei pro Etage plus eine Person für die Hauswirtschaft, zwei gehen jedoch schon nach vier Stunden. Pause haben wir etwa eine halbe Stunde.

Wie sieht eine normale Schicht aus?

Morgens holen wir die Leute aus dem Bett, die Diabetiker bekommen ihre Spritze oder werden gemessen, wir waschen, lagern, helfen beim Anziehen und Duschen, um 8 Uhr gibt es Frühstück, teils reichen wir das Essen an. Natürlich muss alles dokumentiert werden, das sind dann nochmal 30 Minuten am PC für Eingaben, die nicht stimmen, Ess- und Trinkprotokolle, aber das muss so gemacht werden.
Besonders tragisch finde ich, und da kann ich auch für meine Kolleginnen sprechen: Man möchte sich wirklich mal um den einzelnen Bewohner kümmern. Die sind ja auf eine Art von zu Hause abgeschoben worden, weil sie dort nicht mehr versorgt werden konnten, und wenn sie bei uns sind, möchte man auch mal ein privates Wort mit ihnen sprechen oder sich ihre Probleme anhören. Aber das geht nicht. Es gibt einfach keine Zeit dafür.
Und die Pflegedienstleitung sieht zu, dass sie die Zimmer vollkriegt. Wenn einer gestorben ist, da ist das Bett noch warm und schon muss wieder wer neues rein. Time is cash, time is money. Leere Betten gehen gar nicht. Schnell sauber gemacht, eben noch herzliches Beileid und der nächste. Das kanns doch nicht sein. Bei uns kostet ein Platz etwa 3500 Euro, das ist im gehobenen Segment. Jetzt haben wir Aufnahmestopp wegen der Ansteckungsgefahr.

Was hat sich noch seit Corona geändert?

Die ganzen Beschäftigungen im Haus, in den Aufenthaltsräumen, das fällt alles weg. Es gibt keine Gruppenbeschäftigung mehr, jeder soll nach Möglichkeit auf seinem Zimmer bleiben. Gegessen wird normalerweise zu dritt oder zu viert, das gibt es jetzt nur noch einzeln. Und dadurch, dass das jetzt in jedem Zimmer einzeln läuft, haben wir natürlich viel mehr zu tun. Wir sollen die Überstunden aufschreiben, ok, aber erst ab einer halben Stunde. Und Überstunden machen wir ja immer schon. 30 Überstunden sind normal. Es ist momentan wirklich stressig. – Das ist es immer, aber jetzt ist es noch schlimmer und dadurch werden die Kollegen öfter krank.
Stress löst auch das aus. Und dann wird es noch schwieriger, Ersatz zu finden. Einer hatte schon sechs Tage und soll den siebten dann auch noch einspringen. Wieso arbeitet nicht auch mal die Pflegedienstleitung? Die kann doch nicht nur das dicke Geld einstecken. Wir kriegen dagegen nicht mal eine Flasche Wasser. Selbst die müssen wir uns von zu Hause mitnehmen. Bei 30° sagt dann unser Geschäftsführer, jetzt dürft ihr euch ein Wasser nehmen.

Habt ihr Schutzkleidung bekommen?

Wir haben noch keinen Fall von Corona, aber man hört von katastrophalen Fällen. Von einem Pflegeheim habe ich gehört, dass es dort eine Anzeige gab und die Pflegedienstleitung entlassen, also erstmal beurlaubt wurde. Seitdem das an die Öffentlichkeit gekommen ist, springen die bei uns auch. Wir haben jetzt seit April Kleiderschutz, Mundschutz, das hatten wir vorher alles nicht. Jetzt haben wir alles, weil die Pflegedienstleitung Angst hat. Mundschutz wurde für uns aus Baumwolle genäht, er schützt die Bewohner vor uns.

Wie ist die Stimmung unter den BewohnerInnen?

Die Dementen verstehen es nicht richtig. Wir haben aber auch noch einige fitte Leute, und für die ist es deprimierend, sie dürfen nicht raus und verstehen nicht, dass die Tochter oder der Sohn nicht kommen kann.

Was sollte sich ändern?

Wir müssen am Wochenende arbeiten, und feiertags, und Weihnachten und überhaupt. Und das sollte man attraktiver machen, mit besserer Bezahlung. Es will ja niemand am Wochenende arbeiten. Da bräuchte man höhere Zuschläge. Und warum arbeitet die Pflegedienstleitung nicht am Wochenende? Die geht immer freitags um 16 Uhr nach Hause.

Wie ist die Stimmung unter den Kolleginnen?

Wir sind ein gutes Team, wir reden über die Probleme, was wir gern geändert hätten. So können wir zumindest darüber sprechen, wenn die Chefin nicht gleich daneben sitzt. Wir brauchen schließlich auch Zeit für uns. Wenn wir streiken würden, würden die Bewohner drunter leiden, und wir wollen ihnen ja helfen. Und ob es ein Extrageld gibt, da warten wir jetzt mal drauf.
Jeder Mitarbeiter ist so wichtig. Ohne Chef können wir dagegen weiterarbeiten. Man merkt es nicht, wenn die Chefin im Urlaub ist, da geht alles seinen Gang weiter. Wir wissen, was wir zu tun haben und wir machen das auch. Wenn die Chefin allein da wäre, ich glaube sie wüsste gar nicht, was sie zu tun hätte.